Das lateinische „Rideamus“ heißt zu deutsch: „Lasst uns lachen!“ Das war nicht nur das Pseudonym von Fritz Oliven (1874-1956), einem jüdischen Rechtsanwalt, bekannt geworden als humoristischer Lyriker, Librettist und Revuedichter (u. a. „Der Vetter aus Dingsda“, Musik Eduard Künneke), sondern auch namengebend für das Wiener Unterhaltungstheater „Bunte Bühne RIDEAMUS“, an dem schon vor dem Ersten Weltkrieg Ralph Benatzky („Im weißen Rössl“) als Korrepetitor und Kapellmeister arbeitete.
Weltkriege als Zeitmarken lassen eher vermuten, dass den Leuten zwischenzeitlich das Lachen vergangen sein müsste. Doch Überleben heißt auch Wiederaufleben. Wer nicht schwermütig wurde, mochte – wie zum Trotz – übermütig werden. In diesem Sinne lebte nach dem Ersten Weltkrieg, in den besagten Goldenen Zwanzigern, eine erstaunliche Kreativität auf, die auf allen Gebieten – oft noch aus wirtschaftlicher Not geboren – Innovationen hervorbrachte. Auch auf dem Gebiet des „Amüsements“, das vielen zu dieser Zeit nicht minder lebensnotwendig erschien. Wenn es denn nach dem menschengemachten Wahn-Sinn des Krieges alles keinen Sinn mehr machen sollte, wollte man sich wenigstens am Un-Sinn erfreuen. Wenn nicht gerade totlachen, so wollten es die Leute doch vor Vergnügen krachen lassen. Wie gesagt: „Rideamus!“
Varieté, Kabarett, Revue, Tingel-Tangel, Schwank und Schwof, Boulevard und – als die Tonspur laufen lernte – Lichtspieltheater, bald allerorten. Wo sich der Kintopp einst noch sprachlos gab – bestenfalls kommentierte ein Filmerzähler die Handlung –, tönte es nun selbstredend aus den Lautsprechern. Nicht nur das Geknatter gesprochener Worte war angesagt, sondern leidlich, soweit technisch möglich, sollte auch Musik erklingen. Der Melodienreigen, die große Revue nunmehr selbst auch im kleinen, nur selten genutzten Saal einer Dorfkneipe. Wenn die Filmmusik „Anklang“ fand, den Geschmacksnerv des Publikums traf, also regelrecht „einschlug“, hinterließ sie jene „Schlager“, die sich als Ohrwürmer ins Gedächtnis einkrochen. Damit sie sich nicht irgendwann verkrochen, konnte man sie, wenn sie erst mal in Schellack gepresst waren, immer wieder in Erinnerung rufen. Moderne Zeiten.
Wo blieb denn da noch Bedarf für das Unterhaltungstheater, für ein leibhaftiges Bühnengeschehen, den Gesang aus Kehlen, nicht aus Lautsprechern, neudeutsch für eine „Life-Performance“? Wo blieb denn da die kleine Schwester der Oper, dictus Operette?
Für Systematiker, die es mögen, epochale Zeitmarken zu setzen, ist die „Goldene Operettenära“ zu jener Zeit, also um die letzte Jahrhundertwende, schon zu Ende. Von 1900 bis 1920 spricht man in diesen Kreisen gerne von der „Silbernen Operettenära“, als deren Hauptvertreter u. a. Franz Lehár, Leo Fall, Emmerich Kálmán und Ralph Benatzky genannt werden. Durchaus ist diese Zeit noch geprägt von einer wirtschaftlichen Blüte des Genres Operette und zahlreichen Theaterneugründungen oder Umwandlungen zu ihren Gunsten. Für die Operette erbaut wurden etwa das Johann Strauß-Theater, das Wiener Bürgertheater oder das Wiener Stadttheater. Zugleich war dies eine Zeit der zunehmenden Internationalisierung der Wiener Operette, die sich in fast zeitgleichen Ur-, beziehungsweise Erstaufführungen in Wien, Berlin und New York City zeigt. Dort machte sich später das „Musical“, ausgehend vom Broadway, breit.
Aber auch die silberne Ära der Operette endete schließlich, spätestens mit dem Siegeszug der Revue sowie des Kinofilms in den 1920er-Jahren. Nachfolgende Operetten werden oft der „bronzenen“ oder spöttisch auch der „blechernen Ära“ zugeordnet. Mit Vorliebe erfuhr das Zeitgenössische der neueren Operetten eine Abwertung gegenüber der verklärten „Alt-Wien-Mode“.
Damals ragten jüdische Komponisten und Librettisten besonders heraus, so dass auch ein verstärkter Antisemitismus in der NS-Zeit als Grund für die Herabstufung verantwortlich sein könnte. Um nur einige Komponisten zu nennen: Paul Abraham („Blume von Hawai“, „Viktoria und Ihr Husar“) war ungarisch-deutscher Komponist jüdischer Abstammung (geb. 1892 in der donauschwäbischen Gemeinde Apatin) und gezwungen nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten zurück nach Budapest zu gehen. Seine Musik wurde im Deutschen Reich geächtet. Aufgrund der faschistischen Umtriebe, die auch Ungarn erreicht hatten, musste er schließlich Budapest verlassen. Er flüchtete nach Paris. 1940 kam er über Kuba nach New York, ohne aber Anerkennung zu finden. Dort steht er letzthin 1946 auf einer belebten Straßenkreuzung und beginnt, ein imaginäres Orchester zu dirigieren. Dieses letzte „Konzert” des einst für einige Jahre erfolgreichsten Operettenkomponisten der Welt, des „Operettenkönigs von Berlin”, markiert das bittere Ende des vergeblichen Versuches, in der Neuen Welt Fuß zu fassen. Wenig später wird er in das größte „Irrenhaus" – so nannte man das damals – von New York eingeliefert.
Auch der 1884 im mährischen Budwitz geborene Ralph Benatzky („Im weißen Rössl“), den das „hakenkreuzlerische Leben“, wie er es lt. seinem Tagebuch schon 1924 nannte, zunehmend ängstigte, zog es schließlich in die Schweiz. Nachdem ihm dort die Staatsbürgerschaft verweigert worden war, emigrierte er 1940 in die USA.
Eduard Künneke (u. a. „Glückliche Reise“) wurde 1933 zwar Mitglied der NSDAP, aber bereits ein Jahr später wegen „nichtarischer Versippung“ wieder ausgeschlossen.
Fred Raymond („Maske in Blau“) komponierte in den 1930er Jahren zahlreiche Operetten und widmete sich auch dem neuen Medium Tonfilm. Zur Wehrmacht eingezogen, was für ihn als lebenslustigen Menschen einen Einschnitt bedeutete, soll er eine Durchhalte-Operette schreiben, woraus aber nichts wird. Ein einziger Schlager wird noch sehr populär, zumal ihn Lale Andersen weltbekannt machte. Der Titel lautete: „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei“. Als aber die Menschen darauf reimen „selbst Adolf Hitler und seine Partei", wird er verboten.
Die genannten Operettenkomponisten, das stand jedenfalls fest, waren allesamt Meister ihres Fachs. Paul Abraham studierte an der Königlich-Ungarischen Musikakademie Kompositionslehre.
Rudolph Josef František Benatzky war Schüler von Antonín Dvořák in Prag. Dort und in Wien studierte er Germanistik, Philosophie und Musik und wurde im Jahre 1910 mit einer Arbeit über „Goethe und das Volkslied“ zum Doktor der Philosophie promoviert.
Eduard Künneke besuchte 1905 bis 1906 eine Meisterklasse bei Max Bruch. Danach war er als Korrepetitor und Chorleiter am Neuen Operettentheater am Schiffbauerdamm in Berlin tätig. Während seiner Kapellmeisterzeit am Deutschen Theater komponierte Künneke für die Max-Reinhardt-Inszenierung des „Faust II“ die Bühnenmusik.
Fred Raymond, eigentlich Friedrich Raimund Vesely – beide Elternteile waren tschechischer Herkunft – kann man im besten Wortsinn als begabten Dilettanten bezeichnen. Er begann eine Banklehre bei der Österreichischen Nationalbank und besuchte nebenher mit einem Stipendium die Welthandelsakademie. Musik machte er damals nur zum eigenen Vergnügen und nahm nebenbei Unterricht in Klavier und Harmonielehre am Wiener Konservatorium.
Die Operettenmusik jener Jahre zwischen den Weltkriegen sollte nicht sang- und klanglos in Vergessenheit geraten. In ihrer Art war sie meisterhaft und verdient es, auch heute wieder gespielt und gesungen zu werden.
Foto E. Isenberg, Schellackplatte im Privatbesitz
Verändert nach einem Blogbeitrag des Autors auf der Website von MakSi 2018