Ein Modell von der Banane

 

Lehrsammlungen, darunter auch so manch betagtes Naturalienkabinett, sind über Jahre gewachsen und haben ihre eigene Vergangenheit. Da entdeckt man schon einmal Überraschungen, Merk- und Denkwürdigkeiten. 

So entdeckte ich unter biologischen Objekten herbarisierte Rotalgen, die auf das Jahr 1879 datiert sind, gesammelt in Helgoland, das zu dieser Zeit noch zum British Empire gehörte. Bismarck hatte 1890 den Gebietstausch von Sansibar gegen die Insel Helgoland, den sein Amtsnachfolger Graf von Caprivi eingefädelt hatte, spöttisch mit dem Eintausch eines Anzugs gegen einen Hosenknopf verglichen.

Seitdem ist vieles zusammengetragen worden, und es liegt in der Natur von Naturalienobjekten, dass sie sich allen Inventarisierungsbemühungen widersetzen und einer Überprüfung ihrer Anschaffungskosten durch den Rechnungshof des Landes entzogen sind, da der Aufwand zu ihrem Erwerb allein in der Aufmerksamkeit bestand, mit der die Lehrkräfte, aber ebenso auch die zutragenden Gönner des Hauses, die Förster, Apotheker, Human-, Zahn- und Tierärzte, Schlachter, selbsternannten Kammerjäger, gemeinhin alle biologisch interessierten Eltern und Schüler, dem Fundus etwas beisteuerten.

So kann man immer wieder etwas Merkwürdiges entdecken. Da sind die vor über hundert Jahren in mikroskopischen Präparaten fixierten Bestandteile der Waldameise (Formica sensu strictu) „unter besonderer Berücksichtigung" ihrer Mundwerkzeuge aus einer Untersuchungsserie für eine Doktorarbeit, das Gehörn von einem 1921 erlegten Gamsbock, eine Kokosnuss, postalisch mit Briefmarke übersandt und mit einer außen auf dem Bast geschriebenen Widmung und dem Spendendank aus dem Urwaldkrankenhaus in Lambaréné, wo seinerzeit Albert Schweitzer sein Bestes tat, wofür ihm 1952 der Friedensnobelpreis zuerkannt wurde, die Steinstaublunge eines 1955 obduzierten Bergmanns, Band- und Spulwürmer ohne nähere Herkunftsangaben, Wurmfortsätze als Trophäen überstandenen Leibbrandes, Gallensteine aus nicht näher bezeichneten Verwandtschaftskreisen, Röntgenbilder von der Oberarmfraktur einer ehemaligen Biologielehrerin, eine Bisamratte aus dem schulnahen Forellenteich, ein menschlicher Fötus, in Spiritus eingelegt – „der ist doch wohl nicht echt?“, fragen die Schüler:innen mit Schaudern. „Leider ja!“ – und vieles andere mehr.

Dass nun aber alles – wie dieses ungeborene Wesen tatsächlich – echt in der Sammlung sei, wäre natürlich übertrieben, denn selbst in der Biologie müssen gelegentlich Künstlichkeiten das Natürliche veranschaulichen. In diesem Zusammenhang fällt einem aufmerksamen Zeitgenossen etwas Merkwürdiges auf. Gibt es doch tatsächlich in der Sammlung ein Modell von einer Banane, in natürlicher Größe, in einer Nachbildung aus einer bemalten, plastisch verleimten Holzmehlmasse, mit einem seitlich geöffneten Sichtfenster, um auch in das Innenleben Einsicht zu geben.

 

 

Modell von einer Banane

 

Sollte es früher nicht möglich gewesen sein, jenen gekrümmten Exoten in seinem Naturzustand kennenzulernen, sei es doch gleich als kraftspendende Beigabe zum Schulfrühstück?

Bedenkt man aber einmal die mögliche Vorgeschichte und das besondere Verhältnis, das wir Deutschen im Laufe unserer jüngeren Geschichte zur Banane gezeigt haben, so gibt es vielleicht eine Erklärung. War es im Kaiserreich die Großmannssucht – „viel Feind, viel Ehr“, so hieß es schließlich – und im Dritten Reich, als die Deutschen nicht nur von allen guten Geistern, sondern am Ende auch von allen Nachbarn verlassen waren, so hatte es doch immer wieder bedeutet, sich mit Hausgemachtem begnügen zu müssen. Da war die beeindruckende Vokabel „Autarkie“, die in den entbehrungsreichen Jahren selbstverschuldeter Isolation zu einem nationalen Grundwert stilisiert wurde. Natürlich haben Schüler in diesen Zeiten von „Übersee- und Kolonialprodukten“ und sonstigen Segnungen des Welthandels nur vom Hörensagen etwas mitbekommen, und natürlich konnte auch im Unterricht eine Banane nur als Modell vorgestellt werden.

Erst nach dem letzten Kriege brachten die westlichen Besatzungsmächte nicht nur wieder die Freiheit, sondern auch Bananen unters Volk. Als Nachkriegskind kann ich mich noch an den Verzehr meiner ersten Banane erinnern. Sie gab es bei uns hin und wieder als Beigabe zur allgemeinen Schulspeisung. Faszinierend, so weiß ich noch, war die Tatsache, dass man einfach hineinbeißen konnte, ohne dass man anschließend was ausspucken musste. Also weder Kerne noch Nüssel, Griebs oder Grotzen. Und die handsame Verpackung war von Natur aus gleich mitgeliefert. Freilich, nach Gebrauch auf dem Trottoir achtlos abgelegt, konnte die glitschige Schale manchen Passanten doch glatt hinschlagen lassen.

Rührige amerikanische Fruit-Companies, um die Anonymität der Banane bekümmert, verstanden sich alsbald darauf, einer jeden ihr Schildchen aufzukleben, und sogleich wurde auch aus der Banane ein Markenprodukt mit Kennzeichen, normgerecht in Länge und Krümmung. 

Bananen gehören unterdessen zu den beliebtesten Obstsorten in Deutschland. Jeder von uns soll im Durchschnitt etwa 13 Kilogramm Bananen im Jahr essen – dazu braucht es eine ansehnliche Stückzahl. Aber Bananen schmecken nicht nur gut, sie stecken auch voller Inhaltsstoffe: Der ideale Snack für Zwischendurch also. Bananen enthalten viel Kalium und Magnesium, B-Vitamine und etwas Vitamin C. Besonders gut ist die Kombination aus schnell verwertbarem Fruchtzucker, Ballaststoffen und „langsamer“ Stärke. Dadurch liefern Bananen schnell Energie, halten aber auch nachhaltig satt. Gerade deshalb greifen vor allem Heranwachsende oder wer sonst sich die aufwendige Zubereitung einer Mahlzeit sparen will nach dem nahrhaften und handsamen Naturprodukt. Freilich, zu viel davon verstopft.  

Fast hätten wir die Bedeutung der Banane als Symbol für Weltoffenheit schon wieder aus dem Auge verloren, wenn nicht in jüngerer Vergangenheit die Bürger aus der damaligen DDR nach der Öffnung der Grenzen unsere Bundesrepublik wie eine Bananenrepublik bewundert hätten. Zur Erinnerung: Bis dahin gab es Im Osten auf den  Schlager „Zwei Apfelsinen im Haar und an den Hüften Bananen ...“ (France Gall, 1968) die Parodie „Zwei Apfelsinen im Jahr und zum Parteitag Bananen.“ Nach Jahren des Eingesperrtseins und der sozialistischen Konsumbevormundung – und wiederum hieß es ja auch dort, wie vormals im Deutschen Reich, Unabhängigkeit von ausländischen Märkten oder eben nur Deviseneinsparung – erfuhr die nun wiedergewonnene Freiheit ihren verzehrbaren Ausdruck in der tropischen Banane, die anfangs in Westberlin oder an anderen grenznahen Orten massenhaft nachgefragt wurde.

 

 

 

Foto: E. Isenberg – Bananenmodell aus der Biologiesammlung des Gymnasiums Stift Keppel, Hilchenbach-Allenbach

Den Hinweis auf  Zwei Apfelsinen im Jahr und zum Parteitag Bananen verdanke ich Udo Reich.