Wer kennt ihn nicht, den Dingens?

 

Der besagte „Dingens“, wer kennt ihn nicht? Selbst der Rechtschreib-DUDEN, Richtschnur für alles, was in deutscher Sprache gilt und recht wie richtig geschrieben sein will, nennt unter dem Buchstaben „D" den „Dingens“ zusammen mit „Dings" oder Dingsbums“. Wer oder was das ist, erfahren wir aller-dings" nicht. Nur dass es der Ersatz für ein Wort ist, das einem im Moment nicht einfällt oder nicht auf Anhieb auszusprechen gelingt.

Vor allem in unserem Namensgedächtnis verkümmern bisweilen vormals vertraute Personen zum „Dingens“. Einem Bekannten aus früheren Tagen, der mich anredete mit einem gedehnten „H e r r …, na!?“, während er mit den Fingern schnipste, „hab’s doch gleich ...“, kam ich mit dem Hinweis zur Hilfe: „Falls Sie den Dingens meinen sollten, der bin ich nicht.“ – Das hatte ihn so verblüfft, dass er nur sagte, vielmehr fragte: „So so? Der sind sie nicht? "

Statt „Dingens“ lässt sich ebenso „das / der Dingsbums“ für eine nicht benennbare Sache oder eine unbestimmte Person verwenden. Ganz im Sinne auch von der / die „Dingsda“.

„So ‘n Ding“ lässt viele denkbare Zuweisungen zu. Eine Philosophiestudentin im ersten Semester berichtete ihrer Freundin, dass der Professor in der letzten Vorlesung von dem „Ding an sich“ gesprochen habe. „Sag bloß? Das Ding an sich?" – „Nicht was Du meinst. Ich denke eher allgemein." Verstehe, philosophisch.“ Als die beiden nachgoogeln, lesen sie, KANT definiere mit dem Ding an sich „das den Erscheinungen zu Grunde liegende, außerhalb unseres Bewusstseins existierende Wirkliche, die Idee eines übersinnlichen Grundes der Vorstellungen, was nur den Grund enthält, das Vorstellungsvermögen sinnlich zu bestimmen, selbst aber nicht Stoff der empirischen Anschauung sei." – Na, das ist ja mal ’n Ding!"

Im JOHANNES-Evangelium heißt es am Anfang: Im Anfang war das Wort". FAUST, den diese apodiktische Aussage störte, kam am Ende seiner Neuformulierungsversuche auf die „Tat", die alles in Gang gesetzt habe. Vielleicht sollte man stattdessen sagen „am Anfang war das Ding". Und wer die Dinge beherrschen wollte, gab ihnen Namen.

Selbst Gott war gespannt, welche Namen der Mensch seinen Geschöpfen gäbe (Gen 2,19). Sodann bekam jedes Wesen einen Namen, selbst die Unwesen. Doch – Herr Gott nochmal! – wer konnte sich all die Namen merken?

Wenn’s am richtigen Wort fehlt, das es irgendwie für irgendwas auch immer geben wird, muss mitunter ein anderes Wort einspringen. Zum Beispiel der „Eumel“, ein Begriff mit unterschiedlicher Konnotation für irgendwelche Dinge oder Wesen. Manchmal für Unwesen, wie jene „Eumel", die in den 70er Jahren als kleine Dämonen aus der Waschmittelwerbung den bösen Grauschleier über Muttis weiße Gardinen brachten. Sie sahen aus wie kleine, grünliche Tropfen mit Beinen und vergnügten sich, gehässig kichernd, in den Gardinen, wo sie Schmutz produzierten.

Für andere hat der Eumel" was vom ominösen „Dödel" wie dem Dösbaddel", jene Schwachen im Geiste, die nichts auf die Reihe kriegen – im Neologismus ein Hirnie" oder „Honk", die man vormals auch einen Simpel" oder einen Depp" hieß. Im Rheinischen ist in solchen Fällen auch vom Tuppes" die Rede, einer der alles hinnimmt, zu allem bereit, aber zu nichts nutze ist. 

Aber im Ernst, was soll ein „Eumel" sein? Die richtige Antwort schnappte ich zufällig auf, als ein Handwerker, dem er zu fehlen schien, seinen Mitarbeiter nach einem Werkzeug fragte. Also demnach eher was Konkretes, Gegenständliches. 

Als ich den besagten „Eumel" zu sehen bekam, erkannte selbst ich als „unheimlicher Heimwerker mit den zwei linken Händen" in dem ausgehändigten Dings" – wegen mir auch bums", wegen seiner Verwendung  beim Zuschlagen – so eine Art Abstandshalter, wie man ihn praktischerweise beim Nageln verwendet. Im Sinne der Redensart ist es wohlweislich besser den Nagel auf den Kopf zu treffen" als sich selbst ... auf die Finger.

 

 

So ein Eumel", wie hier abgebildet,

lässt sich mit der ganzen Hand umgreifen. 

Magnetisiert hält er am unteren Ende

einen Nagel fest, der sich anschlagen lässt, 

ohne Gefahr zu laufen, sich mit dem Hammer

auf die Finger zu hauen. 

 

Ein nur umständlich zu umschreibender Gebrauchsgegenstand, also ein Ding", bekommt jedenfalls mit dem besagten Eumel"  einen griffigen Namen, selbst wenn er nicht einmal nach DUDEN oder auch sonstewie  lexikalisch verbürgt sein sollte. 

Auch wenn man vom „Ömmes“ spricht, so ist ein „Dings“ gemeint, das benennt, was irgendwie zu groß geraten erscheint.

Manches hat auch einen richtigen, sehr speziellen, gar lateinischen Namen, ein Ding mit „-um“ als Neutrum-Endung. Dennoch bleibt das Wort ein Rätsel. So spricht vom „Philtrum" der Mediziner, wenn er glaubt, sich der Fachsprache bedienen zu müssen. Um zu wissen, was gemeint ist, spricht der Laie stattdessen in vulgo von der „Rotzrinne", genau an dieser Stelle fließt beim Kleinkind der „Schnöbbes" von der Nase auf die mittig gekerbte Oberlippe zu. Dort lässt er sich – wie praktisch! – gleich ablecken und einsaugen.

 

 

Philtrum

 

Hitler und viele seiner männlichen Zeitgenossen ließen dort einen kleinen Bart stehen. Zugegeben, unter der Nase ist der Einsatz eines Rasiermessers mit einem gewissen Risiko behaftet. So galt für Nassrasierer: O Haupt voll Blut und Wunden!" Der Volksmund, vornweg die „Berliner Schnauze", bezeichnete seinerzeit den kümmerlichen Rest bärtiger Manneszier ungeniert als „Popelbremse".

Nebenbei gesagt: Sprecher:innen beim Rundfunk wissen, wenn man nicht unvermittelt, zumindest für den Radiohörer, in die Ansage hineinniesen möchte, dass man mit einem leichten Druck über der Mitte der Oberlippe den sonst unbändigen Niesreiz für einen Moment, bis zum Drücken der Kurz-Aus-Taste", unterdrücken kann.

Der Altphilologe wird unter „Philtrum" – abgeleitet vom altgriechischen φίλτρον (philtron) – womöglich wieder ganz was anderes verstehen, nämlich einen „Liebeszauber“Man wird fragen, wie passt das zusammen?

Da sieht man's mal wieder, so ein Ding an sich", auch wenn es einen wohlfeilen Namen hat, gibt Rätsel auf. Vielleicht lässt sich ein Zusammenhang herstellen, wenn man die geschweifte Kontur der Oberlippe als „Liebesbogen“ sieht, dessen sich Amor sive Cupido aus der Mythologie bedient, um Pfeile der Liebe abzuschießen, die ins Herz treffen. Daher sagt man wohl von „herzlich" Zugetanen, sie seien ineinander „verschossen".

 

  

 

 Amor schnitzt einen Bogen für die Liebespfeile,

Peter Paul Rubens: 1614, Alte Pinakothek, München

 

Die mittige Einbuchtung in der Oberlippe wäre dann als Handgriff zu deuten, an dem der kecke Liebesbote den Bogen hält, wenn er ihn mit gestrecktem Arm zum Abschuss der Pfeile spannt.

Und wie die Lippen überhaupt, so gilt dieses „Philtrum" als besonders empfindlich. Nicht von ungefähr neigen wir dazu, bei genüsslichen Erwartungen diese erogene Stelle mit der Zunge zu belecken. 

Im Weiteren, wenn es um „Dingens“ geht, so ist es als Wortbestandteil auch verwendbar für ein Gemeinwesen, das man im Nirgendwo verortet. Wer wüsste schon, wo dieses  „Dingenskirchen“ liegt?

Namen zu vergessen, ist lästig, bei bereits angesprochenen Personen, siehe eingangs, bisweilen auch peinlich. Man sollte einen Namen nicht nur hören, sondern ihn auch selbst einmal aus- bzw. nachgesprochen haben. Besser, als ihn geschrieben zu lesen, ist eine Verknüpfung mit einem Bild, das man sich möglichst leibhaftig vom besagten Namensträger gemacht hat.

Dass man sich Namen, die man bloß hört, schlechter merken kann, hat auch mit unserer Evolution zu tun. Zuerst war es das Gesicht, und dann kam sehr viel später der Name dazu. Schon bei den Menschenaffen lässt sich nachweisen, dass sie Gesichter unterscheiden können.

Auch unsere Vorfahren aus grauer Vorzeit lebten namenlos zusammen. In den übersichtlichen Sippen reichte es, andere wiederzuerkennen. Man blickte hin und sah: Das ist der Typ, der zwei Höhlen weiter wohnt. Doch die Gemeinschaften wuchsen. Irgendwann wurde es unübersichtlich, dann brauchte man Namen.

Irgend so ein Name mag ja nur Schall und Rauch sein. Der Wert sowohl eines äußerlichen, auch persönlichen Erinnerungsankers liegt darin, dass man Namen in einer physischen, zumindest optisch oder gar akustischen Verbindung leichter rekonstruieren kann. So konnten die Menschen vor Jahrhunderten ihren Gesprächspartnern, denen sie nahezu täglich begegneten, leicht den zutreffenden Namen geben. 

Da heutzutage die Namen in der Regel nicht mehr mit dem Beruf oder mit dem einst namengebenden Erscheinungsbild (groß /klein), mit der Herkunft (Berg, Bach) etc. zu tun haben, können wir den Namen nur dann rekonstruieren, wenn wir ihn zuvor in kreativer Weise mit eigenen Bedeutungen verknüpft haben (der Lange, der sich ausgerechnet Kurz nennt).

Bei der Eselei" des Erinnerns kann man sich auch der gleichnamigen Brücken" bedienen, beispielsweise beim Herrn „Hinterkötter“, gedacht als der/das Hinterletzte, wie das Hinterteil vom Köter. Tatsächlich waren die Vorfahren Kleinbauern,  Bewohner von einem Kotten, also Kötter, altsprachlich auch Hintersassen" genannt.

Doch Vorsicht! Bei zu starker Bildhaftigkeit der Hilfskonstruktion fürs Erinnern kann sie einem im falschen Moment auch schon mal geradewegs herausrutschen. So schaut ein Arzt – wegen mir der „Dr. Dingens"  –  kurz auf das Krankenblatt, bevor er mit dem Patienten spricht, und liest das Stichwort „häufiger Harndrang“. Da wollte beim Namen „Winkler“ doch rasch der besagte Esel durchgehen. Nur ein falscher Anfangsbuchstabe, schon war's passiert. P" wie peinlich! – Aber zutreffend.

Zwei Namen wie Vor- und Nachnamen zusammengelernt, können sich unter Umständen gegenseitig auf die Sprünge helfen. Peinlich allerdings, wenn’s nur beim „Hannes … ? Äh, – ist doch richtig?“ bleibt und der Nachname, obwohl man in keiner vertrauten Duzbeziehung steht, beim besten Willen nicht mehr erinnert wird.

Eine Krankheit ist diese Namensschwäche sicher nicht. Allenfalls ein kognitives Störungsbild. Im Alter mögen mitunter die Störungen zunehmen. Sprachlosigkeit ist nicht mal das Problem, sagt man den Greisen doch eine gewisse Weitschweifigkeit, ja Geschwätzigkeit nach, halt wie's der alte Altphilologe beredt zu formulieren weiß: senes natura loquaciores sunt.  

Im Moment die richtigen Worte zu finden, („nun aber, ... was wollte ich eigentlich sagen?") auf den Namen zu kommen, dabei heißt es oft: „Na!? … Gleich! ... Da, siehst' es wieder! Weg wie Nachbars Schmitz sein Spitz.“

 

Foto eines Abstandshalters, auch vom Philtrum bei einem Kind: E. Isenberg

Alte Pinakothek, München, Peter Paul Rubens: Amor schnitzt einen Bogen, 1614, gemeinfrei.