Max & Elsa Reger

 

Nicht alles läuft bei ihm so, wie am Anfang gedacht. Seine einzige Liebe, die ihn zunächst abgelehnt, aber später dann doch geheiratet hat, war Elsa, eine geborene von Bercken, eine geschiedene von Bagenski. Sie wurde schließlich seine Frau fürs Leben. Auch für sein Nachleben, denn sie sorgte – hierzu als Witwe berufen, was ihr gelegentlich die Bezeichnung „Berufswitwe“ eintrug – engagiert und couragiert für seinen Nachruhm. 

Karl Straube, seinerzeit Organist in der Thomanerkirche in Leipzig, der eine intensive und produktive Freundschaft mit Reger pflegte, lästerte einmal: „Solange seine Frau nicht den Anspruch erhebe, bei Konzerten zu dirigieren, solle man sie ruhig wirken lassen.“ Gleichwohl geht auf Elsa Reger die gleichnamige Stiftung zurück, die als Max-Reger-Institut (MRI) seit 1996 ihren Sitz in Karlsruhe hat.

 

Kein leichter Start

Die Vorzeichen für die Ehe von Max und Elsa schienen damals nicht einmal günstig zu stehen. Als sie ihn 1902 heiratete, war sie bereits 32 Jahre alt, zudem eine Frau mit Vergangenheit, eine Geschiedene. Als hinwartende Gattin des Offiziers Franz von Bercken, den sie mit 17 geheiratet hatte, sei sie in den langen Manöverzeiten im öden Posen, wie sie sich in ihren Memoiren selbst bedauert, fast versauert. Immer wieder hielt sie sich längere Zeit in Wiesbaden bei ihrer Mutter auf. Die war eine geborene von Seckendorff-Aberdar und bereits zur Kinderzeit ihrer Tochter Elsa eine Geschiedene von Bagenski. 

Reger, sein Name, egal wie man ihn dreht und wendet, ein Palindrom. Anders als Elsa stammte er aus überschaubaren bürgerlichen Verhältnissen. Max, Sohn eines Dorfschullehrers aus der Oberpfalz, war bereits auf dem besten Wege, es seinem Vater beruflich gleichzutun. Obwohl er 1889 die Präparandie mit einem glänzenden Zeugnis abgeschlossen und auch die Aufnahmeprüfung am Königlichen Lehrerseminar in Amberg bestanden hatte, setzte er sich in seinem Vorhaben durch, Musiker zu werden. Der ständige Zwang sich darin beweisen zu müssen, überhaupt davon existieren zu können, bescherten dem jungen Mann schwere Anfangsjahre. Reger geriet in immer tiefere Verschuldung. „Kein Mensch gibt mir einen Pfennig“, schrieb er in einem Brief. „Ich stehe allein da und niemand kümmert sich um mich, im Gegenteil, meine Kollegen, die Herren Musiker, tun ja alles, um mich klein zu kriegen“.

Als Freiwilliger meldet er sich 1896 zum Militär. Völlig ungeeignet, verbringt er schon die ersten Wochen wegen einer Fußgelenk-Entzündung im Lazarett. Die erhoffte Dienstuntauglichkeit wird jedoch nicht festgestellt und so muss er die gesamte Zeit abdienen. Anschließend ist Reger nicht nur physisch, sondern auch seelisch ein Wrack. Durch die sich abzeichnenden Misserfolge gerät er immer tiefer in die Alkoholabhängigkeit. Reger wird von den Eltern bereits aufgegeben, die bei ihm Größenwahn im höchsten Stadium vermuteten. Seiner Schwester gelingt es, ihren verwahrlosten Bruder, dessen Gesundheit durch Alkohol und Nikotin stark angegriffen war, heimzuholen. In seinem Elternhaus in Weiden erholt sich Reger nicht nur, auch seine künstlerische Produktivität nimmt wieder zu. Die schöpferische Hochstimmung hält an und er komponiert zahlreiche Klavierstücke, weitere Orgelwerke, Kammermusik und Lieder.

Im Mai/Juni 1899 verbringt Reger mehrere Wochen in Schneewinkl-Lehn in Berchtesgaden bei Auguste von Bagenski, ihrer Tochter Elsa, die im April desselben Jahres geschieden worden war, und deren Cousine Berthel, der er bereits 1893 in Wiesbaden Klavierunterricht gegeben hatte. Er verliebt sich in Elsa und komponiert zehn Liebeslieder. Doch wird sein Werben von ihr zurückgewiesen.

 

Katholisch bis in die Fingerspitzen"

Durch Verlags- und Konzerthonorare sowie Privatstunden ist Reger bald in der Lage, einen eigenen Hausstand zu gründen. Er bemüht sich erneut um Elsa von Bercken, die 1902 in München einen Liederabend von ihm besucht und ihre frühere Ablehnung überdenkt. Regers Künftige ausgerechnet eine Offizierstochter, während er sich als militärischer Volltrottel erwiesen hatte. Sollte er, nach eigener Bezeichnung „katholisch bis in die Fingerspitzen“, zudem eine geschiedene Protestantin heiraten? Das ging nun gar nicht. Reger wurde exkommuniziert, was seiner tief religiösen Einstellung allerdings keinen Abbruch tat. Auch von evangelischer Seite wurde die Einsegnung der Eheleute nur unter dem Vorbehalt erlaubt, dass sie ein notariell bescheinigtes Versprechen abgaben, etwaige Nachkommen evangelisch taufen zu lassen.

Nach der Erledigung der Formalitäten wurde die kirchliche Trauung in Württemberg in der Dorfkirche in Boll bei Göppingen Anfang Dezember noch desselben Jahres vollzogen. Ihre Familien waren nicht anwesend. Dennoch ließ sich ihre Ehe gut an. Elsa verstand ihren Max in jeder Beziehung. Wichtig für Reger, der sich, vor allem in seiner Kunst, oftmals unverstanden fühlte.

 

Musikalische Vorzeichen

Der Hintergrund des musikalischen Interesses ihrerseits war vielleicht schon familiär vorgeprägt. Denkt man an Elsa, so denkt man an Lohengrin. „Mein lieber Schwan!“, möchte einem gleich in den Sinn kommen. Tatsächlich soll ihre Großmutter, Augusta Edle von Fassmann (1814-1872) – Sängerin, entdeckt und protegiert von Königin Karoline von Bayern –, den Namen, schon als sich 1870 die Geburt ihrer Enkelin ankündigte, für den Fall, dass es ein Mädchen würde, bestimmt haben.

Seinerzeit, so heißt es, habe man in Elsas Elternhaus einen Klavierauszug der Wagner-Oper vorgefunden. Also dieses Kind nun einmal nicht „Guste“ wie besagte Großmutter und ihre Tochter, Elsas Mutter. Von ihr wird erzählt, dass sie mit vier Jahren auf dem Schoß von Felix Mendelssohn Bartholdy gesessen habe, der freundschaftlich mit Augusta von Fassmann, unterdessen Berliner Hofopernsängerin, verkehrte.

 

Joh. Bapt. Joseph Maximilian Reger,

Professor Dr. phil. und Dr. med., Hofrat

und Herzoglich Sachsen-Meiningischer Hofkapellmeister  

 

Angenommene Töchter

Was nun nachmals den Hofrat und Herzoglich Sachsen-Meiningischen Hofkapellmeister und mit zahlreichen Ehrenbezeichnungen, honoris causa titulierten Professor Dr. phil. und selbst Dr. med. Joh. Bapt. Joseph Maximilian Reger anbetrifft, so waren es nicht etwa „die" Frauen im Allgemeinen, mit denen er Verkehr pflegte, sondern „seine" Frauen im engeren Sinne. Dazu gehörte die Nichte Hildegarde von Bagenski aus der angeheirateten Familie seiner Frau Elsa, geb. von Bagenski. Freilich, die Eheleute Reger hatten keine leiblichen Kinder. Ihre beiden Mädchen waren angenommen. Christa Reger, geb. Marie-Marta Heyer, wurde 1907 von ihnen adoptiert. Wenig später kam mit Selma Charlotte Meinig eine jüngere Adoptivschwester hinzu, die Lotti Reger genannt wurde.


Die Eheleute Max und Elsa

mit den Adoptivkindern Christa und Charlotte

 

Ihre Ziehmutter schreibt in ihren Erinnerungen, die 1930 auf Anregung von Fritz Busch unter dem Titel „Mein Leben mit und für Max Reger“ erschienen: „Christas Wünsche“ – als sie unterdessen 15 Jahre alt war – „gingen dahin, aus dem Hause hinauszukommen. Als meinem Bruder (Ernst) und mir je eine halbe Freistelle für unsere Kinder Hildegarde und Christa in Stift Keppel (im Siegerland) – in welchem auch ich selbst einst 2 ½ Jahre geweilt hatte – angeboten wurde, bat sie mich inständig, sie dorthin zu geben. Da ich das Pensionsleben, wie ich es damals kannte, mit vollständiger Unterordnung und Erziehung zur Selbstbeherrschung, für Christa gut hielt und hoffte, sie würde dort vorwärtskommen, nahm ich, wie auch mein Bruder, das Angebot an.

Aber ich erkannte bald, dass ich falsch gehandelt hatte, Christa aus dem guten Lyzeum in Jena genommen zu haben, wo der Direktor ihr so gütig gesinnt war. Christas Gesundheit bedurfte auch einer Kontrolle. Als sie sich wieder elend fühlte und in der dortigen Schule nicht mitkam, kehrte sie (schon nach vier Monaten) zurück aus dem Stift.“ Cousine Hildegarde hielt durch und blieb bis 1923.

Dass die beiden Mädchen, Christa Reger und Hildegarde Bagenski, ausgerechnet im fernen Siegerland in ein Internat gegeben wurden, erklärt sich durch Elsa Reger, die hier bereits Stiftsschülerin war. Wodurch aber wurde damals deren Mutter, Auguste von Bagenski (1840-1907), die nach ihrer Scheidung unterdessen mit ihren Kindern in Wiesbaden wohnte, veranlasst, ihre Tochter Elsa in jenem Stift Keppel anzumelden?

 

Stiftstradition

Schaut man in das Verzeichnis der dortigen Stiftsdamen, so fällt einem der Name einer Freiin Lethe von Seckendorff-Aberdar auf. Ihr Vorname mutet gewiss merkwürdig an, zumal „Lethe“ nach der griechischen Mythologie in der Unterwelt den Strom des Vergessens bezeichnet. Fast schon programmatisch für jemand, dessen Rolle für uns fast in Vergessenheit geraten ist. Gleichwie, auch Elsas Mutter war, wie schon erwähnt, eine geborene von Seckendorff-Aberdar.

Sicherlich wird Freiin Lethe von Seckendorff-Aberdar nicht im säkularisierten Stift residiert, allenfalls von dort ihre Präbende bezogen haben. Übrigens, mit dem Datum von 25. Mai 1891 werden mit der Meldung ihres Ablebens in Cossen (Thüringen) die Zahlungen aus dem Stiftsfonds eingestellt. In der Bescheinigung wird ein Freiherr Walter von Seckendorff als Alleinerbe seiner Tante genannt. Inwieweit und um wie viel Ecken die alleinstehende Stiftsdame mit Elsas Großvater mütterlicherseits verwandt war und womöglich, nachdem man das Stift 1871 in ein „Asyl für verwaiste Töchter des verdienten Preußischen Offiziersadels“ umgewandelt hatte, eine Empfehlung für Keppel ausgesprochen hat, ist nicht überliefert. Gewiss, auch Elsa war unterdessen eine verwaiste Tochter, eine Scheidungswaise.

 

P o s t s c r i p t u m

Eine kompositorische Petitesse Regers, die vielleicht ein Licht auf sein Verhältnis zu Stiftsdamen wirft: Datiert auf den 19. April 1914 hinterließ er eine Notenskizze von gerade mal neun Takten. Passend zum Titel „Marsch der Stiftsdamen“ wählte er die Satzbezeichnung „Allegro pomposo“.

 

 

Die besagten Noten schrieb er in das Gästebuch der Kurklinik Martinsbrunn in Meran und widmete sie in Dankbarkeit – vermutlich seiner guten Laune auf Grund des absehbaren Heilerfolges entsprungen – dem Leiter der Klinik, dem Nervenarzt Dr. Norbert von Kaan und seiner Gattin Melanie von Kaan.

In einem Brief Regers an seine Frau Elsa, die im Hinblick auf einen günstigeren Kurerfolg besser nicht mitkommen sollte, schreibt er: „Dem Sanitätsrat wird mehrmals in den Sprechstunden gesagt, dass ich sein bester Assistenzarzt sei, indem ich durch meine Späße die Nerven und die melancholischen Kranken so erheitere, dass sie wieder gesunden.“

 

Notorische Ulknudel

Denkt man an Reger und hört von Stiftsdamen, so ist man geneigt, gleich einen Bezug zum besagten Damenstift im Siegerland herzustellen. Frau Prof. Susanne Popp – Leiterin des Max-Reger-Instituts (MIR) in Wiesbaden, wo auch das beigestiftete Gebr.-Busch-Archiv verwahrt und verwaltet wird –, gab auf Nachfrage zur Antwort, dass der musikalische Scherz „Marsch der Stiftsdamen“, den Reger damals in Meran zu Papier brachte, wohl nichts mit diesem Stift Keppel im Siegerland zu tun habe. Sie wisse Genaueres über die Entstehungsumstände aus einem Schreiben von Annie Untersteineran, Frau eines Neffen von Dr. Norbert von Kaan (!).

In dem Blatt, das das MRI am 31. 12. 1955 von ihr erwarb, heißt es: „Da waren vor allem im Speisesaal die vornehmen Stiftsdamen, die sich seinen Spott zuzogen. Sie rauschten immer sehr steif und ablehnend in den Saal, blickten strafend und missbilligend zur Tafel, an der Reger saß und wo es stets ein lautes Gelächter gab.“ Demnach habe Reger nicht die Keppeler Stiftsdamen persifliert, die er allenfalls nur nach dem Hörensagen kennen konnte.

Der Patient, der in der psychosomatischen Kurklinik als manischen Gegenbeweis zu seiner sonst eher depressiven Veranlagung und als Ausweis seiner Gesundung nach dem vorausgegangenen psychischen und physischen Zusammenbruch gern die Rolle der notorischen Ulknudel spielte, soll eigenem Bekunden nach „stinkenden Käse unter die Stühle der Stiftsdamen genagelt” haben. Das heißt, zu seiner Zeit waren besagte Stiftsdamen ganz konkret, also leibhaftig im Speisesaal des Sanatoriums in Martinsbrunn zugegen. „Ich nehme mit Sicherheit an“, schreibt Frau Professor Popp: „dass es adelige Damen waren (wie Stiftsdamen – zumindest in Preußen – ja wohl immer), die, wie auch Reger, als Gäste im Sanatorium weilten, nicht etwa – was auch denkbar wäre – als Mitglieder des Personals."

Das  „p o m p o s o“  mag viel über Regers Einstellung zur adeligen Verwandtschaft seiner Frau sagen.

 

Literatur:

Elsa Reger, Mein Leben mit und für Max Reger, Leipzig 1930

Susanne Popp, Werk Statt Leben, Wiesbaden 2015

 Foto: Notenblatt, als Kopie im Internatsmuseum Stift Keppel