Nett miteinander

 

Schon schön, dass wir doch alle so nett miteinander sind. Gut, dass heute selbst für die vermeintlich persönliche Note, wenn's Not tut, Algorithmen für vorformulierte Floskeln sorgen.

Doch zunächst, wenn es um das Miteinander geht, was bekanntlich nicht so einfach ist, denkt man womöglich an den Liedtitel von Max Raabe: „Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich ...". Wer also am Telefon schon seit einer gefühlten langen Weile in der Warteschleife hängt und nach einer nervig lauten Musik endlich ein leibhaftiges Wesen zu hören glaubt, kann bei: „Bitte, was kann ich für Sie tun?“, eventuell auf einen Gesprächspartner hoffen. Möglicherweise bekommt man auch dann nur weitere Nevergreens ins Ohr gedudelt, mit der gelegentlichen Unterbrechung: „Wir sind gleich für Sie da.“ Fragen Sie besser nicht wann? Denn am anderen Ende der Verbindung, die sich wieder mal als lange Leitung erweist, ist nicht wirklich einer.

An der sich automatisch öffnenden Eingangstür zum Supermarkt liest man öfters: „Herzlich willkommen!" – Sagt wer? Egal. Auf jeden Fall ist es schön, dass man die Tür geöffnet bekommt. „Vielen Dank, liebe Automatik!“

Dann lese ich: „Schön, dass Sie da sind.“ Wie schön, denke ich, dass es nicht „hier“, sondern „da“ heißt, man also nicht nur mein Hiersein" gutheißt, sondern auch mein „Dasein“. Sollte es im umfassenderen existenziellen Sinne gemeint sein?

 

 

Fußmatte – Willkommen auf rheinische Art,

„Schön dat de do bess" , beim Verlassen heißt es: Schad dat de jon muss"

 

Wie einladend ist es auch, wenn man lesen kann: „Wir freuen uns auf ihren Besuch!“ Und überhaupt heißt es alleweil „Bitte“ und „Danke“, ja „herzlichen Dank“. Von welchem Herzen kommt er?

Wer nicht in eigenen Worten weiß, seinen Dank herzlich zum Ausdruck zu bringen, kauft bei nächster Gelegenheit eine Schachtel mit finest Selection", auf der bereits „merci" (Danke) steht. Den i-Punkt am Ende bildet ein kleines Herzchen. Der Beschenkte wird sich schon selbst seinen Teil dazu denken. Auf die eine oder andere Köstlichkeit der einzelverpackten Schokoladenstäbchen mag er, wenn er's mag, je nach Geschmack und Sättigungskapazität bei Gelegenheit dann  zugreifen.

Selbst auf den tausendfach ausgedruckten Kassenbons ist man dankbar für meinen Besuch, verbunden mit dem Wunsch, „besuchen Sie uns wieder!" 

Nicht zu vergessen bei Bestellungen nach erfolgter Zusendung auch die unvermeidliche Bitte um Bewertung: Geben Sie mit einer Zahl zwischen 1 und 10 ihre Zufriedenheit an!“

Wie erhebend ist es doch, wenn es in der Werbung dank des besitzanzeigenden Fürworts Dein" Frischemarkt heißt. Nein, was man nicht alles sein Eigen nennen darf! Und überhaupt, wie vertraulich das klingt?

Sonst langer Anrede kurzer Sinn, oft tut's heuer nur ein Hallo". In der globalisierten Wirtschaftswelt geht es meist im duzvertraulichen Allerweltsenglisch zu. Ins Deutsche übertragen, wird die einst umschweifige Anrede von „sehr geehrter Herr“ oder „verehrte", vormals gar „gnädige Frau“ – der galante Wiener mochte ihr zu alledem noch die Hand küssen –, nun auch bei uns unterschiedslos zu einem „Du“  eingeebnet.

In einem Lokal sah ich im Eingang ein Schild mit dem Hinweis: „Damit Du's weißt: Bei uns sagt man nur Du, ein Sie gibt's hier nicht". Demnach war zu erwarten, dass die duzende Bedienung an den Tisch kommen wird mit der Aufforderung: „Sach'se ersmal, watte trinken wills!

Welche devoten Verrenkungen wurden hingegen früheren Zeitgenossen abverlangt, zumindest in der sog. Oberschicht, als dort selbst Kinder von „ihrer Frau Mutter“ sprachen und dem „Herrn Vater“ Gehorsam schuldeten. Es stellt sich schon die Frage, wie nett" man damals wirklich miteinander" war?

Das Titulieren war weniger eine Nettigkeit", als vielmehr eine geziemende Höflichkeit, eine Frage des Anstands und der Respektierung, vor allem von Unterschieden in Rang und Würden.

Bei einem Geistlichen hieß es „Hochwürden", in der qualifizierteren Spezies war es dann auch der hehre „Prälat" oder „Monsignore". In den Rängen aufwärts nur eine Frage von Knöpfen und Knopflöchern, die an ihren Soutanen rubinrot umgarnt waren. Kenner geistlicher Karrieren nannten das auch Kopflochentzündungen".

Bei Bischöfen oder Monsignori zierte zudem eine Bauchbinde in Würdefarben aus violetter, bei Kardinälen aus roter Seide, jeweils mit moiré-Effekt, die meist umfänglichen Leiber der gewichtigen Männer.

Als Exzellenzen wurden Bischöfe tituliert, aber auch Staatsoberhäupter, Regierungschefs, Minister oder Botschafter. Grafen waren erlaucht", Fürsten „durchlauchtigste Herren“. In royalen Kreisen hieß es Hoheit" oder „königliche Hoheit höchstselbst". So sie einem „huldvoll gewogen" war, redete man sie mit „Ihro Gnaden" an.

Mit Ew. Magnifizenz" wurden Vertreter des akademischen Spitzenpersonals angeschrieben. Im Plural werden sie auch  als „Spektabilitäten“ bezeichnet. Im Einzelfall, als non plus ultra, gibt es noch „Küss die Hand, Eure Heiligkeit".

Vielleicht hinterlässt es manchmal doch ein wenig Skepsis, wenn es heute dagegen so kumpelhaft zugeht, wohlwissend, dass der andere, der uns vertraulich duzt, letzten Endes doch nur an unser Geld will.

Da ist Vertrauen beruhigend. Gut, dass es ausgesprochen den „Metzger unseres Vertrauens" gibt. Alles scheint eigens für uns gemacht zu sein. In der Produktwerbung versucht man, selbst das in Massen am Fließband Produzierte mit einer persönlichen Note zu versehen, so dass es wie für jeden Kunden hergestellt erscheint. Dazu bindet in der Fernsehwerbung der Maître Chocolatier mit liebevollem Handgriff einem jeden Goldhasen ein rotes Bändchen mit einer kleinen Bimmel um den Hals. 

 

Bei Gelegenheit darf es auch ein Goldbär

mit umgebundenem Herzchen sein

 

Genauso liebevoll zeigt sich in der Fernsehwerbung die nette junge Dame, die in der Kaffeerösterei Bohne für Bohne einzeln durch ihre ordnenden Hände gleiten lässt. Das kann für das Kaffeetrinken zuhause, im Sinne von pro domo, nur reinen Genuss verheißen.

So ist es ein andermal ausgerechnet m e i n Schinken, zu dem man mir guten Appetit wünscht. Überhaupt, wird einem versichert, man habe bei der Auswahl dieses Produkts doch Schwein gehabt, soll heißen, dass einen die schiere Fleischeslust erwartet. An die vorausgehende Massentötung und Zerfleischung in mundgerechte Leichenteile zu denken, hat natürlich kein Schwein Lust (Wie heißt es doch? „ ... Keine Sau interessiert sich dafür.")

Aus dem Fundus meiner Gebrauchslyrik heißt es auch für diese Fälle:

 

So sei gesagt an dieser Stelle,

ist das Gehackte erst als Frikadelle

von beiden Seiten angebraten,

ist einem – wie gemein! –

das arme Schwein

längst aus dem Blick geraten. Fm

 

Egal. Welch ein Glück, man sieht es doch, das Schwein, wie’s auf dem Bildaufdruck der Verpackung über alle (?) Backen lacht. Im besten Fall ist „m e i n e" Wurst von den Backen seines prallen Hinterteils gemacht. Was sonst noch unter der Pelle an „Knochenputz" durch den Wolf gedreht und beigemengt ist, das muss man halt unbesehen schlucken. Gewürze sorgen für das Wunder des Geschmacks und Pökelsalze für das Erröten", was manche altersmüde Wurstfüllung frisch erscheinen lässt. Manch Würstchen ist gänzlich ohne Fleisch und schmeckt trotzdem so. Als vertrauensbildende Maßnahme werden auch gerne die Produzenten auf dem Etikett abgebildet, mit dem Aufdruck: „Da weiß man, wer's macht“, nach dem Motto: Wir geben Ihrer Wurst ein Gesicht". 

Selbstredend, nur „glückliche Kühe“ sind’s, Ammen mit prallen Eutern und mindestens 18 Liter Tagesleistung, deren zweckentfremdete Muttermilch zum ungestillten" Bedürfnis der Menschheit tütenweise, becherweise, in streichzarter oder fester Form, in Scheiben bzw. als Laib oder als sonst wie portioniertes Teil eines Ganzen im Kühlregal lagert. 

Ein andermal garantiert auf der Verpackung ein „fröhlicher Landmann“, wohl heute immer ein Großagrarier: „Auf meine Eier können Sie sich verlassen! Für diese Eier wurden keine männlichen Küken geschreddert.“ 

Wozu auch? Brutzeln nicht nur Hähnchen auf dem Grill? Sollten die Bruderhähne, die vermeintlich „unnützen Buben" bis dahin dennoch überlebt haben? Diese Präferenz der aufgespießten Männlichkeit mutet fast schon sexistisch an. Wo bleibt die Frauenquote?

In Wahrheit werden rechtlich als Hähnchen, Hendl oder Broiler generell die Jungtiere des Haushuhns beiderlei Geschlechts bezeichnet. Es ist nur eine Frage ihres zarten Alters, was sich durch die Elastizität des Brustbeins bemisst. Der „halve Hahn“, den sich ein Kölner in der Kneipe zum Kölsch bestellt, hat eh kein Geschlechtsleben erlitten. Alles nur Käse.

In einem Fernseh-Spot vor den Abendnachrichten belehrt der Firmenchef einen Affen über deutschstämmige Trikotagen, die nicht erst um die halbe Welt geflogen werden mussten. Nun, Tiere sind immer gut. Sie machen alles so menschlich.

Selbst bei einem Mittel gegen quälende Blähungen gibt in der Werbung ein Hundchen neben einer bekennenden Flatulantin sein „Wuff“ als Zeichen der finalen Befreiung. Dann heißt es „wie" weg. Dass es auch tatsächlich weg ist, heißt es wohl nicht.

Ein süßes Katzerl, das Delikatessen schnuckt – darunter ganz artgemäß Thunfisch –, lässt vergessen, dass die Ahnen des Stubentigers einst Mäuse fingen. In den Regalen der Supernapf-Läden türmen sich die Hundeleckerlis „zuhauf", anders gesagt, für eine Gesellschaft von Großhundbesitzern neue Munition für ihre kotenden Köter. „Sch..sch..sch...schon reingetreten. So ein Sch ...!"

Wie eingangs gesagt, nett ist es doch, dass wir alle so nett miteinander sind. Praktisch, dass per künstlicher Intelligenz Algorithmen heute zur Not für die persönliche Note sorgen. „Hallo Frau Hauptstraße!" – Hoppla! Da ist wohl was falsch gelaufen. 

Auch aufgepasst, dass man nicht dank des intelligenten Korrekturprogramms am Ende dumm dasteht, wenn es sich blitzschnell eingeschaltet hat, und das soeben allen Ernstes eingetippte „Herzliche Beileid" eigenmächtig in „herzliche Beleidigung" abgewandelt wurde. Ratsam ist es vor dem Absenden noch einmal hinzusehen, sonst könnte es aussehen, als seien wir trotz der künstlichen Intelligenz oder gerade wegen ihr gar nicht so „nett miteinander".

Was wird demnächst noch unter dem Vorzeichen von  K I  auf das sehr „verschätzte" Publikum zukommen, wenn per ChatGPT* die Laudatio oder sonst eine Festrede für den ahnungsglosen Referenten vorfabriziert wird? Bestenfalls nichtssagend, schlimmstenfalls peinlich. 

 

Bilder: Produktfoto: Elke Kruse, Kölsche Geschenkartikel, Deutzer Freiheit 91, 50679 Köln

Goldhasen mit Bimmel und Goldbär mit umgebundenem  Herzchen. Fotos E. Isenberg

*ChatGPT (Generative Pretrained Transformer) ist der Prototyp eines textbasierten Dialogsystems als Benutzerschnittstelle, der auf künstlicher Intelligenz beruht.