Wir als Primus unter den Primaten

 

Der Mensch, ein heruntergekommener Affe?

Dass ausgerechnet ihm der Aufstieg zur Weltherrschaft gelang, war zunächst kaum zu vermuten. Doch es kam, wie es gekommen ist, ein Lebewesen, das als einziges unter allen anderen in der Lage ist, sich sogar selbst einen Namen zu geben und sich überdies und überhaupt in besonderer Weise auch noch „weise“ dünkt, halt Homodictus sapiens. Ein hoher Anspruch.

Im viktorianischen Zeitalter, so wird erzählt, sollen zwei ältere Damen der feinen Gesellschaft Anstoß genommen haben an dem, was damals auch in ihren Kreisen ein Aufregerthema war, dass nämlich der Mensch mit dem Affen verwandt sei.

„Wer mag schon an sowas glauben?“, sagte die eine zur anderen. Zwar hatte Landsmann Darwin 1859 in seiner Schrift „The origin of species by means auf natural selection“ nur in einem Satz angedeutet, dass die gewonnenen Erkenntnisse „ein Licht werfen werden auf den Ursprung des Menschen und seine Geschichte“. Das reichte allerdings, um bei den Herrschaften schon ein „Licht“ aufgehen zu lassen. „My goodness, wenn es tatsächlich wahr sein sollte", befürchtete die andere der beiden Damen, „wollen wir darum beten, dass es nicht allgemein bekannt wird“.

 

 

 

CHARLES DARWIN, geistiger Vater der sog. Affentheorie

 

Gemeinhin mochte sich seinerzeit eine ständisch verfasste Gesellschaft, vor allem Vertreter der Upper Class, nicht gern auf einen gemeinsamen Status aller Menschen beziehen. Und schon gar nicht auf solch niedere Gesellen, denen affenartig noch das Fell juckte.

Schon 1784 glaubte im fernen Weimar ein Geheimrat GOETHE, der sich damals unter anderem auch mit Knochenkunde befasste, in dem Os intermaxillare (ihm zu Ehren später auch „GOETHE-Knochen" genannt), einem embryonal hinter den mittleren oberen Schneidezähnen angelegten Zwischenkieferknochen , den letzten Beweis gefunden zu haben, dass nun nichts mehr den Menschen, selbst in diesem bislang übersehenen anatomischen Detail vom Affen unterscheide.

Die Begeisterung seiner Zeitgenossen hielt sich in Grenzen. Somit wundert es nicht, wenn die Erkenntnis, dass der Mensch nichts anderes oder allenfalls ein fortentwickelter Affe sei, die Insel seinerzeit noch nicht erreicht hatte. Weder Königin VICTORIA, die mit ihrem Namen das Zeitalter der besagten Damen prägte, noch DARWIN waren zu dieser Zeit schon geboren

Nun könnte man den beiden besagten Ladies auch entgegenhalten, dass die Affennatur in unserem Werdegang, zunächst das Leben auf den Bäumen, durchaus kein Makel sei, sondern Voraussetzung dafür, was letzthin aus uns geworden ist, die „Krone der Schöpfung“, die wir uns – soweit haben wir's gebracht! – selbst aufgesetzt haben. 

 

Die arborikole Lebensweise

In einfachen Worten ist damit das Leben auf Bäumen gemeint. Das ist nicht per se der Schlüssel für die Höhere Laufbahn der Evolution, um gleichsam vorbestimmt zum (selbst-)gekrönten Primus unter den Primaten, den Herrentieren, aufzusteigen. Allerdings, wenn nur einige Anpassungen unserer Motorik step by step aufeinanderfolgten, boten sie – wenn man's teleonomisch, im Rückblick wie einen zielgerichtet erscheinenden (!) Vorgang sieht – die entscheidenden Weichenstellungen.

Für eine hangelnde und schwingende Lebensweise im Gezweige waren einige körperliche Veränderungen von Vorteil. Für den Zugriff brauchte es Greifhände mit einem sicheren Zupacken, das ausreicht, um das eigene Gewicht zu halten. Fürs Erste sorgte der zurückversetzte erste Finger, ein Daumen, der sich gegen alle übrigen Finger krümmen und schließen kann.

Für den wirksamen Zugriff brauchte es insbesondere Fingerspitzengefühl, keine Krallen. Stattdessen befinden sich schützende Hornnägel nur auf der Fingeroberseite, unterseits hochempfindliche Fingerbeeren. Elastisch und leicht verschiebbar spüren wir durch sie gegen die Fingernägel ein Widerlager. Jeder, dem ein Finger- oder Zehennagel entfernt werden musste, kennt das vorübergehend haltlose Gefühl.

Für den Zugriff im rechten Augenblick braucht es außerdem ein räumliches Sehvermögen, das stereoskopisch die Distanz zum nächsten Ast vorab schon absehen lässt. Zu allem ein leistungsfähiges Zentrum für die blitzschnelle Verrechnung optischer und anderer Wahrnehmungen. Voraussicht und Übersicht brachte also unser Ahne mit dem Potenzial zu Höherem bereits aus seiner Vorgeschichte mit.

Wieder von den Bäumen herab auf den Boden der Tatsachen angekommen, war es für ihn nur ein leichter Kick mit Blick auf die zunächst kurzen, da eingeknickten Hinterbeine, um letzthin mit einer Verlagerung des Hinterteils die Aufrichtung, am Ende sogar den aufrechten Gang zu erreichen.

Vor allem die sich im weiteren Wachstum streckenden Beine sind es schließlich, die ihn beim Aufrichten großmachen. So wurde aus dem Affengang ein humanes Schreiten, heißt, ein Abwechseln von durchgestrecktem Stand- und eingeknicktem Spielbein, zum Stehen und Weitergehen. Somit ging's ab für den Homo erectus, der anders als nach seinem Herkommen sich nunmehr und fortan auf dem Boden fortbewegte.

 

Handlungsfähig und federnden Schrittes

Unterdessen gebrauchten unsere aufrechten Ahnen ihre hinteren Extremitäten nur noch zum Gehen. An deren Enden sind Füße mit schwieligen Sohlen ausgebildet, jeweils mit einem Daumen als großen Zeh zur Verbesserung der Stehsicherheit. Hingegen wurden die vorderen Extremitäten infolge der Aufrichtung vom Einsatz für die Fortbewegung auf allen Vieren befreit. Damit war jener Prototyp, der nun dank seiner aufgerichteten Statur ein Mensch werden konnte, im Wortsinn „hand“-lungsfähig, zusammen mit allen speziellen Fähigkeiten, die sich schon beim Handling im Baumbiotop als praktisch erwiesen hatten.

Um dauerhaft aufrecht zu gehen, brauchte es allerdings noch weitere Fortschritte. Damit es nicht auf Schritt und Tritt im „Hirnstübchen“ des Menschen schütterte, mussten Federungselemente mitwirken. Jeder, der mit zwei durchgestreckten Beinen nach einem Sprung aufkommt, weiß, wie heftig uns die Landung aufstoßen kann.

Nicht nur die Folge von diversen, einknickenden Gelenken, schon der gewölbte Spann des Fußes, den es so nur beim Menschen gibt, erweist sich als Federung, ebenfalls die zweifach, d. h. doppel-s-förmige Wirbelsäule wirkt gegen Rückstöße abfedernd. Auch bei beidseitig durchgestreckten Standbeinen hilft uns das mehrfach gebogene Rückgrat im Gleichgewicht zu bleiben. Insgesamt können wir erhobenen Hauptes, samt Hirn, gefedert leicht, also ohne ständige Kopfschmerzen durchs Leben gehen.

Ein nunmehr kräftig ausgebildeter Knochengürtel verbindet das Achsenskelett mit den Beingliedmaßen und nimmt das darüber lastende Eingeweide beckenartig auf. Die weiten Beckenschaufeln und die Auswärtsverlagerung von Kreuzbein und Schambein ermögli­chen einen breitflächigen Ansatz für die Oberschenkelmuskulatur, was die Aufrichtung befördert.

 

Nicht ohne Probleme

Doch dieser mächtige Beckengürtel ist auch das Problem unserer Konstruktion, was bedeutet, die Errungenschaft unseres aufrechten Gangs hat ihren Preis. Der Durchlass für den Austritt und Eintritt in das öffentliche Leben außerhalb des Uterus ist nicht beliebig zu weiten. Unter hormonellem Einfluss kann sich der Faserknorpel der Schambeinfuge um die Geburt herum zwar zeitweilig ein wenig dehnen, aber das hat „natürlich“ Grenzen.

Auch ein „Damm" wäre letzthin noch zu überwinden und bei zu starker Weitung des Gewebes zwischen Vulva und Anus vor dem Einreißen zu schützen. Freilich, breitere Hüften mit einer entsprechend oberseits gespreizten Y-Stellung der Oberschenkelknochen für ein größeres Becken und einen weiteren Geburtskanal wäre der Statik nicht eben dienlich, dreht und schaukelt das weibliche Gesäß beim Schreiten eh schon „beachtlich", für eine schnelles Fortlaufen oft hinderlich. Sprinterrinnen mit einer androgynen Statur sind bekanntlich im Vorteil.

Die Lösung des Beckenproblems ist die „physiologische Frühgeburt" des ohnehin „großkopferten" Menschenkindes. Vor allem das Großhirn des Menschen macht seinem Namen alle Ehre. Der Großhirn-Index, bei dem sich die Gehirnmasse im Verhältnis zum Körpergewicht als Quotient beziffern lässt, so dass man das Hirn des kleinsten Säugetiers der Welt wie die Etrusker-Spitzmaus (2 g Gesamtgewicht) mit dem massigen Elefanten (6 t) vergleichen kann. Beim Menschen liegt er bei einem Wert von 170. Bei Pferden, von denen spaßhaft gesagt wird, dass man ihnen wegen ihrer größeren Köpfe besser das Denken überlassen sollte, liegt der Quotient bei einem Wert von bescheidenen 32. In dieser Liga, wozu auch die anderen Huftiere zählen, handelt es sich durchaus um höherentwickelte Säugetiere, deren Kennzeichen eine längere Tragzeit ist. Was am Ende dabei herauskommt sind „Nestflüchter". So bezeichnet man jene, die schon kurz nach der Geburt auf eigenen Beinen um ihr Leben rennen können.

Vom Entwicklungsstatus her müsste auch der Mensch – umgerechnet nach einer Schwangerschaftsdauer von theoretisch über 20 Monaten (zum Vergleich, bei den Elefanten braucht's defacto 22 Monate) – „Nestflüchter" hervorbringen. Aber bekanntlich tut das Menschenskind bereits nach neun Monaten seinen ersten Schrei. Im Moment seiner Geburt ist noch vieles unfertig. Die für den Menschen konstitutiven Merkmale wie aufrechter Gang und das Sprechen brauchen für die Ausreifung noch etliche Monate, gar Jahre. Vielmehr macht anfänglich das Menschlein, ein „Tragling" zunächst, nur den Eindruck eines erbarmungswürdigen „Nesthockers".

 

Der Mensch, ein „Frühchen" von Natur aus

PORTMANN (1897-1982), Schweizer Biologe und Naturphilosoph, erkannte die physiologische Notwendigkeit der frühen Geburt als Ausweg, der sich dem „Senkrechtstarter" (in der Regel liegt das Kind mit angezogenen Beinen senkrecht, allerdings nicht aufrecht, sondern kopfabwärts im Geburtskanal) im letzten Moment seines Wachstums noch „eröffnet". Wenige Zeit später würde das nicht eben kleine Köpfchen des Kindes nicht mehr durch den Geburtskanal passen. Wie schon anatomisch dargelegt, ist das den Fötus bergende Becken der Frau eh schon an die Grenzen des „Tragbaren" gelangt. Eine Vierbeinerin unter den verwandten Säugetieren tut sich damit, im Unterschied zu unseren aufrechtgehenden Müttern, vergleichsweise leichter.

Der Eintritt in das amtlich registrierte Leben datiert mit dem Geburtstag und zählt in Jahren ein Leben lang bis zum Tod. Die Geburtspforten öffnen sich nur unter Nachdruck. Das Einsetzen der austreibenden Wehen, wenn's bei der Schwangeren endlich pressiert, wird über das Oxytocin der Hirnanhangdrüse veranlasst. Unter dem Druck der Uterus-Muskulatur platzt die zunächst schützende, nun aber eingeengte Fruchtblase. Das Fruchtwasser fließt ab. Danach steht der vaginale Austritt des Kindes auf kurz oder lang, mitunter auch auf längeres Hinwarten bevor. In einigen Fällen scheint er allerdings unmöglich zu sein. Daher wird manchmal eine „Sectio caesarea“ für nötig befunden. Ihr Name leitet sich vom Lateinischen caedere, caesus (ausschneiden, geschnitten) ab. JOHANNES MELBER, gestützt auf die Naturalis historia" des PLINIUS SECUNDUS MAIOR, 77 n. u. Z. formulierte 1482: „Cäsar, wie besagter Kaiser, wird so genannt, da er aus dem Bauch der Mutter geschnitten.“ (Cesar keiser, sic dictus, quod ex ventre matris cesus). 

Hindernisse der Geburt sind nicht unüberwindbar, aber doch immer für Mutter und Kind mit Lebensgefahr verbunden. Das Geburtsdilemma wird schon im 1. Buch Mose 3, „du sollst mit Schmerzen Kinder gebären!" als Menschheitsfluch ausgesprochen.

 

Nicht nur aus der Not geboren

Nun könnte man denken, die programmierte, heißt „physiologische Frühgeburt" des Menschenkindes, sei nur der  Versuch der Natur, die Konstruktionsmängel unseres aufrechten Ganges zu umgehen. Der vorzeitige „Rauswurf" ist jedoch nicht nur „aus der Not geboren", kann man's doch auch perspektivisch sehen. Wenn der Mensch vorzeitig aus der uterinen Komfortzone des Mutterleibs vertrieben wird – kontinuierliche Versorgung und Entsorgung durch das mütterliche Nabel-Kabel, die Leichtigkeit des Seins durch wohlige Wärme und ein schwerloses Schweben dank Auftrieb im Fruchtwasser etc. –, so gelangt das „Erdenkind" auf diese Weise aus dem dumpfen Mutterschoß früher in den „sozialen Schoß" seiner künftigen Umwelt. Das bietet die Chance, sich mit Vorlauf und den notwendigen Erfahrungen schon mal in das künftige soziale Umfeld einzuleben. Das Lernen, währt es doch ein Leben lang, kann mit allen Sinnen, nun auch mit der Wahrnehmung der optischen Welt beginnen. Für den Menschen ist die Reifung seiner Sozialität lebenswichtig. Er kann auf manches verzichten, aber nicht auf Mitmenschen. Die Menschheit ist sein Überorganismus.

 

Eine verdrehte Angelegenheit

Schon bei seiner Geburt ist vorab der Kopf des Kindes sein umfänglichster Körperteil. Er tritt zunächst in das kleine Becken" ein. Da dort der Eingang quer-oval verläuft, stellt sich auch der Kindskopf quer ein, um sich sodann tiefer in die Beckenhöhle abzusenken. Bei normalem Geburtserlauf wird er passiv gebeugt. Durch die Flexion gelangt die kleine Fontanelle am Hinterhaupt des Kindes nach vorne, in die „Führungslinie". Während der Kopf den Beckenboden überwindet und austritt, geht er in eine Überstreckung über. Ist schließlich der Kopf geboren, tritt normalerweise eine kurze Wehenpause ein. Mit der nächsten Wehe macht das Kind erneut eine Drehung um 90°, wendet also sein Gesichtsfeld wieder zur Seite, so dass die nachfolgenden Schultern aus dem längsovalen Beckenausgang austreten können. Sind erst einmal die Schultern geboren, flutscht das Kind ohne Spannung im Ganzen hinterher. Einige Zeit später wird die zuvor nährende Plazenta als Nachgeburt ausgetrieben.

Insgesamt schon eine außerordentlich komplexe und in Phasen geradezu verdrehte Geschichte. So riskant sie ist, erscheint sie fast unmöglich. Doch das Ergebnis, wenn alles glücklich geendet ist, lohnt den Umstand.

 

„Mehr Grips statt großer Klappe“

Was die Kopfproportionen betrifft, ist beim Menschen der Gehirnschädel deutlich zugunsten seines Gesichtsschädels vergrößert. Dieser erscheint vielmehr zurückgenommen. Abflachung und Senkrechtstellung der Gesichtsfront werden in der vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere als Orthognathie bezeichnet. Bei Prognathie spräche man von „Schnauze". Doch kurz gesagt, der Mensch hat „mehr Grips als eine große Klappe“.

Die Lagerung des Schädels auf Grund seiner Proportionen beansprucht für seine Ausrichtung beim aufrechten Gang nur eine vergleichsweise geringe Anspannung der Nackenmuskulatur. Darum kommt er ohne einen nennenswert herausragenden Widerrist aus. Damit gewinnt der Mensch fast mühelos eine notorische Weitsicht, so auch Weltsicht.

Im Gesichtsschädel finden allerdings die hinteren Backenzähne, die man im Hinblick auf die intellektuellen Fähigkeiten eines Homo sapiens, wenn er für sein Alter dafür reif ist, getrost als „Weisheitszähne" bezeichnen mag, kaum noch Platz in dem reduzierten Kiefer. Der ist parabolisch geformt, Eckzähne stehen nur schwach hervor und Lücken an de­ren Stelle im Gegengebiss fehlen. Der geschlossene Zahnbesatz ermöglicht Zahnverschlusslaute (d, t, s, f).

Der harte Gaumen des Menschen ist lückenlos verwachsen und damit eine pneumatische Trennung zwischen oralen und nasalen Lauten möglich. Somit können Verschlusslaute wirksam werden.

Dadurch, dass der Mensch eine relativ kurze Zunge mit einer relativ massigen Zungenbasis hat, kann sie durch den senk- und hebbaren Zungenboden sprechwirksam verformt werden. Der vordere, kurze Zungenabschnitt lässt sich immer wieder schnell in die Ausgangslage zurückversetzen – nicht wie beim hechelnden Hund, dem die Zunge oft seitwärts aus dem Maul heraushängt. Die hohe Beweglichkeit und Vielseitigkeit der menschlichen Zungenmuskeln ermöglicht eine schnelle und differenzierte Verschlusslautbildung, gemeinhin die konsonantische Brechung der vokalen Lautung. Der Gaumen des Menschen ist im Vergleich zum Affengaumen gewölbt, wodurch die Zunge Spiel­raum zur Bildung der sog. Gaumenlaute (g, k, ch und retroflexes r) bekommt.

Der Kehlkopf des Menschen ist gegenüber dem Gaumensegel um ca. 1 ½ cm abgesenkt, während er bei Affen unmittelbar an der inneren Nasenhöhlenöffnung anschließt. Durch das so gebildete „Ansatzrohr“ des Rachens (Pharynx) ist die gelenkte Modulation von Tonhöhen möglich. So kündigt sich Tarzan auf humane Art mit einer Art Jodeln an, während subhumane Primaten nur schreien oder mit Kehllauten brüllen.

 

Die Sprache macht`s

Der Mensch ist nicht nur sprech"-fähig, sondern auch sprach"-begabt. So ist er in hohem Maße fähig, mit seinen Artgenossen zu kommunizieren, was die Kooperation ungemein befördert, ihn am Ideenpool der gesamten menschlichen Population teilhaben lässt. Durch Verschriftlichung der Sprache kann sie über den unmittelbaren Moment der phonetischen Verständigung hinaus „mittelbar", über Ort und Zeit vermittelt und erhalten werden. Dadurch kann die Kultur eines kollektiven Menschheitsgedächtnis grundgelegt werden, eine Kultur, die sich über die Gesetze der Natur hinaus nach eigenen Regeln entwickelt.

Zu alledem besitzt jeder für sich ein großes Gehirnvolumen, nicht nur in Masse, sondern in besonderer Klasse ein hochleistungsfähiges, assoziatives Großhirn. Statistisch betrachtet beträgt das durchschnittliche Hirngewicht einer erwachsenen Frau 1245 g und beim Mann 1375 g. Da es einen Zusammenhang gibt zwischen Hirn- und Körpermasse, Frauen im Durchschnitt kleiner sind als Männer, leitet sich daraus zunächst auch ein kleineres weibliches Gehirn ab. Nun sagt die Quantität noch nichts über die Qualität aus.

Nach neueren Studien sind Gehirne von Frauen und Männern nicht nur in der Masse, auch in der Struktur unterschiedlicher als bisher gedacht. Demnach haben Frauen mehr graue Hirnsubstanz. Das ist eine dünne Schicht von Neuronen, vor allem deren Zellkörper. Durch millionenfache Querverbindungen von Neuriten und Dendriten sind sie zu einem Netzwerk zusammengeschaltet. Sie verlaufen tiefer im Gehirn und bilden in Masse die sog. weiße Substanz. Vor allem im Stirnhirn und im Scheitellappen haben Frauen mehr graue Substanz. Männer dagegen haben mehr Volumen in einigen seitlichen und hinteren Arealen der Hirnrinde. Das betrifft u. a. das primäre Sehzentrum.

Passend zu dem Muster gibt es in Hirnarealen auch Unterschiede bei der Genexpression der Geschlechtschromosomen.

 

Innovationsschub

In der Evolution des Menschen, anders als in der sonst gemütlichen" Geschwindigkeit von trial and error, d. h. von jeweils zufällig entstandenen und wieder ausgelesenen Mutanten, entstand sein Gehirn offenbar nicht sukzessive, sondern infolge eines Innovationsschubs. Nach neueren Erkenntnissen des Dresdener MPI um Professor WIELAND HUTTNER kam es durch einen neuen Genabschnitt ARHGAP11B, zusammen mit einer Punktmutation, zur Verlängerung der Neurogenese (Vermehrung und Wachstum von Nervenzellen). Die Folgen zeigten in den Erfolgen der menschlichen Intelligenz eine bis dahin ungeahnte Durchsetzungsdynamik, die den heruntergekommenen Affen" von einst on the top katapultierte.

Abgesehen von der aufgerichteten Fortbewegungsweise und seinen sich daraus ergebenden, vielseitigen „Hand"-lungsfähigkeiten, wie auch auf sprachlicher Ebene artikuliert und differenziert zu kommunizieren, ist der Mensch nur wenig spezialisiert. Man könnte ihn im Vergleich zu anderen Tieren den Homo imperfectus nennen. Auf Grund seiner hohen Intelligenz, der Assoziationsfähigkeit dank der stark gefalteten Hirnrinde ist er in besonderem Maße an­passungsfähig, auch für ganz neue, noch nie dagewesene Herausforderungen.

 

Die Vergegenwärtigung im Bewusstsein von Vergangenheit und Zukunft 

Der Mensch erschließt durch die Erinnerung die Vergangenheit und durch folgerichtiges Denken „er­ahnt“ er die Zukunft. Damit wird für ihn zusätzlich zur Erschließung des Raums die vierte Dimension, die Zeit, zum Be-„griff“. Für einen, der vorbedacht handeln kann, ergibt sich die Möglichkeit, Theorie und Praxis zu trennen.

Handlungen können gedanklich entworfen, aber auch im Diskurs wieder verworfen werden. Handlungsentwürfe kann ein anderer übernehmen und u. U. mit neuen Lösungsmöglichkeiten verknüpfen.

Der Mensch kann planen, Flintsteine auf dem Strand aufsammeln, im Wissen darum, dass er oder die anderen seiner Sozietät sie dereinst in ihren ferner im Inland liegenden Wohnhöhlen als Werkzeuge verwenden können. Die Pfeilspitze, deren Herstellung längere Zeit und spezielle Werkzeuge beansprucht, ist bereits vorbereitet, wenn er dort mit Speer und Bogen auf die Jagd geht.  

Wandzeichnungen, auf denen jagdbares Wild zu sehen ist, sind im Fackelschein der dunklen Höhlen erst dort, also im Nachhinein angefertigt worden. Sie sind aus dem und für das Gedächtnis gemalt, eine nützliche Instruktion für den fürderhin erfolgreichen Jäger.

Was in Zukunft geschieht, wird ein Mensch nicht wissen können, aber durch Analogien dennoch erahnen können. Er vegetiert nicht nur vor sich hin, sondern ahnt das Zukünftige. Selbst seinen Tod, von dem er aus eigener Anschauung weiß, dass er, wie bei seinen Verwandten und Bekannten, unausweichlich ist. Eine ganz entscheidende Qualität unseres Bewusstseins. Kult und Religiosität, die sich damit verbinden, sind Kennzeichen eines humanen, reflektierten Wesens. Vorgefundene Spuren dieser Art in seinem Umfeld lassen mit Sicherheit auf die Anwesenheit eines Menschen, eines homo sapiens, also Geistwesen schließen.

 

Zu wissen, dass wir nicht alles wissen, vieles können, aber dennoch nicht alles tun müssen

Im Fortschreiten seiner Erkenntnisfähigkeit weiß der Mensch, dass er – wenn auch nicht  n i c h t s („ipse se  n i h i l  scire id unum sciat“) – am Ende nicht alles wissen kann. Anders gesagt: Zu seiner Erkenntnis gehört auch die Ahnung der Unvollkommenheit, im Konkreten manchmal sogar das Wissen um die Grenzen seiner Erkenntnisfähigkeit. So weiß der Wissende doch, dass er, was jenseits seines Wissens liegt, einfach nur „glauben" kann / muss. Auch der Atheist „glaubt" nur zu wissen, dass es über und in allem keinen Gott gibt.

 

 

 

Lernen ist unser positives Schicksal

  

Das Handeln des Menschen ist nur wenig noch von ererbten Instinkten bestimmt. Drum „muss“ er  „lernen".  Aber er muss es nicht nur, er „kann“ es auch, vor allem das, was ihm immer noch fehlt. Schließlich lernt man nie aus. So ist für jedes Individuum das Lernen immer wieder neu. Es lernt am Vorbild oder dem Vordenken anderer. Einsicht durch Nachsicht, also Lernen durch eigene oder die Erfahrung anderer, vielleicht durch selbst erfahrene Belohnung oder eben auch Schaden, durch den man bekanntlich klug werden kann. Zu lernen, ist notwendigerweise nur für das Individuum, einen selbst, im intelligenten Einzelfall möglich. Es ist keine zufällige Mutation, die durch Vererbung verbreitet und weiterhin erblich, also fortan im Genpool bleibend wäre. Lernen heißt per Definition: „Modifikation zu neuen oder vorhandenen Normen durch Verhaltensänderungen / Anpassungen". 

Wir sind vergleichsweise frei in unserem Handeln und Entscheiden, aber in der Freiheit es zu tun oder zu lassen, auch schuldfähig, wenn wir gegen besseres, eigenes „Wissen" handeln. Wir kennen das nur zu gut. Es hat sich seit dem „Ersten Übel", dem Sündenfall des Menschen im biblischen Sinne, unsere Fähigkeit entwickelt, Gut und Böse zu unterscheiden, denn, wenn wir in unserem Bedenken die Folgen unseres Handelns auf uns selbst projizieren, so erkennen wir, dass man nicht tun sollte, was man für sich selber nicht will. (Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu!)

Doch ist es nicht fantastisch, was alles aus dem „heruntergekommenen Affen“ werden konnte? Sollten wir darum, um noch einmal den eingangs zitierten viktorianischen Ladies zu entgegnen, nicht dringend hoffen, dass das, was „als Licht auch auf den Menschen fallen wird – dennoch allgemein bekannt wird“?

 

Die Darwin-Karikatur erschien am 22. März 1871 im Magazin The Hornet und trug den Titel „A venerable Orang-Outang. A contribution to unnatural history“. Gemeinfrei.

Lernen ist unser positives Schicksal, Zeichnung von Michael Isenberg