Oh, mein Gott, Amadeus!

 

Amadéus, einer der Gott liebt und auch von ihm geliebt wird. Oh, mein Gott!" möchte man ausrufen. IFrühjahr 1756 hatte ihn sein Vater auf die Namen Joannes, Chrysostomus, Wolfgang, Gott-lieb“ taufen lassen. Allerdings ist im Taufmatrikelbuch des Salzburger Doms für den letzten Vornamen Theó-philus notiert, was statt der griechischen Fassung auf Lateinisch Ama-déus“ hieße. 

Nicht anders lautet auch der Titel des gleichnamigen Theaterstücks von Peter Shaffer, das 1979 erstmals im National Theater in London aufgeführt wurde. Darin fragt und klagt anfangs der Wiener Hofkomponist Antonio Salieri (1750–1825), Mozarts Konkurrent, zugleich sein größter Bewunderer, wie es möglich sein könne, dass ein „lachhaftes, obszönes Kind“ so reich mit göttlichem Talent gesegnet sei. Also doch Amadeus?

Als Gast am Hof von Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colloredo hatte er zufällig in einem Nebenraum mitbekommen, wie Mozart, seit August 1772 Konzertmeister der Salzburger Hofkapelle und dem Maestro bereits als begabter Komponist zu Ohren gekommen, mit einer jungen Frau herumalberte, ihr nachjagte und, nachdem er sie unter dem Buffettisch, unter den sie geflüchtet war, an den Beinen rückwärts wieder hervorgezogen hatte, einen Klaps auf den Po gab. Constanze Weber hieß die junge Dame. 

 

  

Maria Constanze Caecilia Josepha Johanna Aloisia Mozart, geb. Weber, 

5. Januar 1762 in Zell ; † 6. März 1842 in Salzburg

Sopranistin und Nachlassverwalterin der Werke ihres Ehemannes W. A. Mozart.  

(Cousine von Carl Maria von Weber)

 

Zuvor hatten zahlreiche Briefwechsel zwischen Mozart und seinem Vater stattgefunden. Sein Sohn, dem es an Flausen nicht mangelte, schrieb ihm nun aber allen Ernstes, dass er ihn mit dem Charakter einer, – nämlich „seiner lieben Constanze" vertraut machen wolle und schilderte, dass Ihre ganze Schönheit aus zwei kleinen schwarzen Augen und einer hübschen Figur bestehe. 

„Sie mag es, ordentlich und sauber gekleidet zu sein und die meisten Dinge, die eine Frau braucht, kann sie selbst machen. Sie macht sich jeden Tag ihre eigenen (!) Haare. Ich liebe sie und sie liebt mich von ganzem Herzen. Sag mir, ob ich mir eine bessere Frau wünschen kann?"

Am 4. August 1782 heiratete er die damals zwanzigjährige Constanze Weber im Wiener Stephansdom.

Constanze war allerdings für Mozart nur die zweite Wahl, denn die andere Weber-Schwester Aloisia, die ihm anfangs mehr gefallen hatte, war bereits vergeben. Sie hatte einen Joseph Lange geheiratet.

In dem einzigen Porträt, das uns von Constanze aus ihrer Jugendzeit überliefert ist, erscheint sie ein wenig glanzlos. Vielleicht war's auch nur ein mäßiger Maler, der sie gemalt hat. Es war nämlich Mozarts späterer Schwager, besagter Joseph Langer (1751-1831).

Nach dem Porträt auf den Constanze-Mozart-Kugeln", wie sie heuer auch in den Süßwarenläden zu kaufen gibt, sieht sie irgendwie selbstbewusster aus.

 

 

 

Sein Stanzerl", wie sie Mozart liebevolle nannte, war eine talentierte Sängerin und viele glauben, dass sie eine nicht unwichtige Rolle in der Karriere ihres Mannes spielte. Ein Beispiel dafür sind die wunderschönen Sopransolos in der Großen C-Moll-Messe, die er ihr bereits in Salzburg widmete. Wer sie singen kann, muss schon eine geschmeidige Stimme haben.

Das eingangs geschilderte Herumturteln der jungen Leute, das Salieri als zufälligen Augenzeuge seinerzeit entrüstet hatte, in Sonderheit ob des Klapses auf den Po der jungen Dame, mag womöglich an Mozarts unsägliche „Bäsle-Briefe“ erinnern, die wegen ihres obszönen Inhalts erst Jahre später nach seinem Tod veröffentlicht wurden.

 

 

 

Ui, was schreibt er denn?

 

Bei Cousins und Cousinen, wie auch beim besagten Bäsle", war es damals nicht unüblich, dass sie miteinander spielten. Ab einem bestimmten Alter auch auf fortgeschrittenere Art", was hieß, dass Liebesspiele, um sie vorab schon einmal auszureizen, körpernah erprobt wurden. Solange es in der Morgenröte der Pubertät noch nicht zu ernsteren Folgen kam, wurden ihre Kontakte, zumal sie ja miteinander verwandt waren, als unverfänglich toleriert. Aus dem überlieferten Briefverkehr mit Wolferls Lieblingscousine Maria Anna Thekla Mozart, Rufname Marianne, lassen sich diese Spielereien, als seien es schon deftige „Sauereien“ gewesen, selbst heute noch erahnen.

Nun schrieb Mozart ohnehin merkwürdige, oft unanständige Briefe, in denen er sich geradezu genüsslich der Fäkalsprache bediente. Ob er wirklich so war, wie er schrieb – anderes als Geschriebenes ist uns nicht überliefert –, muss dahingestellt bleiben. Worte sind‘s, mit denen er zu spielen beliebte. Mit frivoler Lust schossen sie manchmal in einem unbändigen Schwall aus allen Rohren hervor, wie aus Körperöffnungen, die er immer wieder deftig benannte, so dass angesichts von Mozarts koprographischer Manie einige Psychologen im Nachhinein schon das Tourette-Syndrom" diagnostizieren mögen, eine neuro-psychiatrische Erkrankung, die durch das Auftreten von motorischen und / oder vokalen Tics" gekennzeichnet ist.

Nun war es wohl so, dass er in Briefen und schriftlichen Aufzeichnungen, so es uns nur auf diese Weise überliefert ist, mit der Sprache gerne spielte, reimte, permanent Worte vertauschte, falsche Partizipien schuf und neue Redewendungen zu Witzen formte. Spontan, wenn ihm danach war, konnte er, ohne es vorher aufgeschrieben zu haben, auch rückwärts sprechen.

Über all diesen Blödeleien waberte der Geruch seines ausgeprägten Fäkalhumors, nach der Art „Wer's nicht glaubt, der soll mich lecken ohne End von nunan bis in Ewickeit, bis ich mal wieder werd gescheit.“ 

Unter Köchelverzeichnis 231* findet man den sechsstimmigen (!) Kanon Leck mich im Arsch"!  Die Entstehung des Kanons lässt sich auf das Jahr 1782 datieren.

Ob das Genie tatsächlich so ein „Saubeutel“ war, ist nicht sicher. Ansehnlich war Mozart sicher nicht. Mozart magnus, corpore parvus", unterschrieb er einen Brief an die Baronin Waldstätten* vom 2. Oktober 1782. Die Schlussformel heißt übersetzt: Der große Mozart in einem unscheinbaren Körper". De facto nicht mal 1,60 m groß, besser gesagt klein. Unübersehbar waren seine Glubschaugen. Bei genauerem Hinsehen mochte seine Augenfehlstellung, ein leichter Strabismus divergens auf dem rechten Auge, als sog. Silberblick vielleicht charmant gewirkt haben.

Der Dichter Ludwig Tieck, der Mozart seinerzeit in Berlin bei einer Probe zur „Entführung aus dem Serail" antraf, erinnerte sich„Im Dunkel des Saales sah ich ein unansehnliches Männlein, klein, rasch, beweglich und blöden Auges (im Sinne von schielend) in grauem Überrock." 

Mit zehn Jahren war Mozart an Blattern erkrankt. Gottlob hatte der kleine Gottlieb, dictus Amadeus, die damals verbreitete Kinderkrankheit überlebt, doch sie war nicht spurlos an ihm vorübergegangen, zumal auch bei ihm die Pocken Narben hinterlassen hatten. Nein, so schön wie auf den Mozartkugeln" sah er nicht aus.

Gleichwohl, was die Mängel seines Äußeren ausglich, war sein Esprit, jene Mischung aus Schlagfertigkeit, Witz und Spottlust ohne Tabus, nur mit der Einschränkung, dass man zwar derb und anzüglich, aber nicht plump oder grob verletzend sein darf.

Durchaus war Mozart später immer wieder von weiblichen Bewunderinnen umgeben. Sein Gekaspere" – noch steckte zu viel Kind in diesem Manne, als dass er erwachsen werden wollte – konnte man kaum ernst nehmen, wenn er nicht andererseits schon so viel überragendes Talent gezeigt hätte. 

Auch wenn Mozart nerven konnte und nicht immer die wohlanständige" Distanz wahrte, so hat er sich aber doch, soweit bekannt, an rote Linien, deren Überschreitung fruchtbar" geworden wären, stets gehalten. Seine Frau Constanze schenkte ihm sechs Kinder, von denen allerdings nur zwei überlebten.

Mozart selbst konnte sich sehr eifersüchtig zeigen, wenn er glaubte, sein „Stanzerl“ sei zu weit gegangen. So fanden damals im Hause der bereits besagten Baronin Elisabeth von Waldstätten wilde Vergnügungen statt. Mozart erfuhr Ende April 1782, dass sich seine zukünftige Frau bei einer dieser Partys von einem Burschen die Waden hatte messen lassen. Damals durchaus ein beliebtes Gesellschaftsspiel. Hierbei wurde den Damen von den Herren mit einem Stoffband der Wadenumfang vermessen, wobei man einander zwangsläufig näherkam, vor allem wenn der zunächst vor einer Dame Niederkniende sich unter ihrem Rock aufrichtete. Bedenkt man, dass Frauen im Rokoko nicht nur einen Rock, sondern viele Röcke übereinander, aber keine Unterhosen darunter trugen, so versteht man Mozarts Verstimmung. Deshalb machte er ihr auch ernste Vorhaltungen.

Wenn man allerdings weiß, dass Mozart selbst gerne Maß an den Waden hübscher Frauen nahm, was er auch freimütig zugab, wird man seine Vorwürfe in erster Linie als das sehen, was sie waren, nämlich die Überreaktion eines eifersüchtigen Ehemanns. Dahingehend war das Genie durchaus normal.

In „Amadeus“, dem gleichnamigen Filmdrama des Regisseurs Miloš Forman aus dem Jahr 1984, das auf dem bereits besagten Theaterstück von Shaffer basiert, gibt es eine Sequenz, die zeigt, dass Salieri Mozarts Frau zu sich in seine Wohnung zu einem Abendessen eingeladen hatte. Sie lässt sich ohne Wissen ihres Mannes darauf ein, nicht ohne dem Gastgeber zugleich eine Mappe mit Noten präsentieren zu wollen, neueste, tintenfrische Unikate aus Mozarts Feder. Einen Abend mit Herrn Salieri und nur zu zweit? Sollte er Absichten haben?  

 

 Nur er und sie, das heißt, zu Zweit,

gleichwohl allein in Zweisamkeit.

Darum bedachte sie's,

was will er außerdem und überdies? 

Lädt ein Herr sie ein

auf  diese generöse Weise,

geht's dabei, so wird's wohl sein,

nicht einfach nur um Trank und Speise.

Drum dachte sie, geh ich dort hin, 

 sollt' ich ein „Leckerchen" für ihn

als Nachgang zu dem Abendessen,

so eine Art Dessért,

was eine süße Sache wär',

zum Abschluss nicht vergessen.

Auch sonst mit ihren Reizen 

wollte sie nicht geizen.

 Denn als junge Frau mit runder Brust,

war die Wirkung auch auf ält're Knaben,

die immer noch ein Auge dafür haben, 

ihr durchaus bewusst.   E. Isenberg

 

Nachdem der Hausdiener das Geschirr abgetragen hatte, hakte sie vor dem überraschten Maestro ihr Mieder auf, in der Erwartung, dass er doch bitte Einblick nehmen möge. Im Übrigen, wie sie hoffte, auch in die Noten ihres Mannes, .

 

 

Mögen Maestro bei Gelegenheit

vielleicht Einblick nehmen?

 

Ein peinliches Missverständnis. Salieri kann es kaum fassen", wie auch Frau Mozart – nämlich das, was sie bereits entblößt hatte und hinter vorgehaltenen Händen noch im letzten Moment zu verbergen versuchte. Nein, wie konnte sie sich bloß so die Blöße geben? Was würde das bloß für ein Gerede geben? 

Maestro war durchaus kein verkniffener, von Prüderie zerfressener Hagestolz. Mit seiner Musik gewiss verheiratet, ansonsten aber seit 1774 mit Theresia Helferstorfer (1754-1805), mit der er acht (!) Kinder zeugte.

Zeitzeugen zufolge war er ein durchweg umgänglicher Mensch, der auch für seine musikpädagogische Kompetenz geschätzt wurde. Unter seinen Schülern befinden sich große Namen wie Ludwig van Beethoven, Franz Schubert, Franz Liszt, Johann Nepomuk Hummel. Selbst Mozarts Sohn Franz Xaver Wolfgang war Schüler von Salieri.

Doch in dieser heiklen Situation, konfrontiert mit den gezückten Waffen einer Frau, weist er seinen Diener umgehend an, die schamlose Person hinauszuwerfen. Daraufhin wirft die düpierte Konstanze Salieri, nachdem er soeben die Tür hinter sich geschlossen hatte, wütend einen Tischleuchter nach.

Als in der nachfolgenden Zeit der kaiserliche Kammerkomponist bemerkte, dass das Licht, was seine Popularität gegenüber dem jungen, quirligen Mozart anbetraf, immer schwächer wurde, beging er, befördert auch durch Schuldgefühle gegen seinen Rivalen – so die Version von Miloš Forman – schließlich aber nicht schlussendlich Suizid. Er überlebte. Sicherheitshalber brachte man ihn ins Allgemeine Wiener Krankenhaus, dem bekanntlich der sog. Narrenturm angeschlossen ist.

Dort, als Prominenter untergebracht, tröstet er, so die Filmfassung, einen jungen Priester, der ihn öfters besucht und bei dem er sich aussprechen kann, mit den Worten, dass er nach dem intensiven Gespräch ja nun auch selbst schon zum „Beichtvater“ des Geistlichen geworden sei. Was dieser bei der Gelegenheit zu hören bekam, ist aus Salieris Retrospektive erzählt.

Als Salieri im Rollstuhl zur Toilette geschoben wird, nennt er sich „Schutzpatron aller Mittelmäßigen“ und erteilt dem Priester und den anderen Patienten, denen er auf den Fluren begegnet, die Absolution*** . Dazu ertönt der zweite Satz aus Mozarts 20. Klavierkonzert. Unmittelbar vor dem Abspann hört man noch einmal Mozarts charakteristisches Lachen im Hintergrund.

Mozart, ein lachhaftes Geschöpf, ein Kindskopf, ein Trinker und Glücksspieler, schlussendlich ein früh verbrauchter Lebemann. Als er starb, war er nicht mal 36 Jahre alt. Zu seinen Lebzeiten hatte er es nicht verstanden, seinen keineswegs geringen Verdienst zusammenzuhalten. Dafür musste, wie wir heute wissen, seine Frau Constanze sorgen. Ihr verdanken wir auch, dass sie die Notenhandschriften aufbewahrte, Verlagen anbot und einträglich verkaufte, so dass uns seine geniale Musik bis heute erhalten geblieben ist.

 

 

 Mozärtlicher" Nippes

 Massenaufmarsch in einer Schaufensterauslage in Salzburg

 

Scherenschnitt: Mozarts Hochzeit des Figaro" aus dem Lotte Reiniger-Fundus. Im Stadtmuseum Tübinger Kornhaus ausgestellt. 

*1782 schreibt Mozart an die Baronin Martha Elisabeth von Waldstätten: Allerliebste, Allerbeste, Allerschönste, Vergoldete, Versilberte und Verzuckerte, Wertheste und schätzbareste Gnädige Frau Baronnin!" 

Jene Baronin ist eine reiche Dame, die bei Mozart Klavierunterricht nimmt und ihn großzügig in vielen Belangen unterstützt. So bedankt er sich bei ihr auch für den frok", jenen roten Gehrock mit Perlmuttknöpfen und Goldstickerei, der – auf ihren Rat hin – zu Mozarts Markenzeichen werden sollte.

Als Constanze wegen der Heiratspläne Probleme mit der Mutter bekommt, nimmt die Baronin die junge Frau in ihrem Haus auf, führt sie in die Gesellschaft ein. Außerdem kann sich Mozart in ihrer Wohnung diskret mit Constanze treffen.

Baronin Martha Elisabeth von Waldstätten richtet auch das Hochzeitsessen von Constanze und Wolfgang aus und korrespondierte mit dem – ob der Heirat verstimmten – Vater Leopold Mozart freundschaftlich.

**Zu Lebzeiten des Komponisten blieb der Kanon ungedruckt, erst seine Witwe Constanze Mozart überließ ihn dem Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel zur Publikation. Die Noten findet man im Köchelverzeichnis unter Nummer 231. Seit der dritten Auflage von 1937 werden sie unter der Nummer 382c geführt,  in einer Gruppe mit mehreren Kanons und kleineren Gelegenheitswerken, darunter auch Leck mir den Arsch fein recht schön sauber", sind sie nun unter KV 382d zusammengefasst.

 *** Lossprechung von den gebeichteten Sünden durch des Priesters Worte im Namen Gottes

 

Portrait  im Text: Lithographie von Joseph Lange 1783, gemeinfrei

Szenenbild aus Amadeus" Director's Cut

Mozart for ever, in einer Schaufensterauslage in Salzburg, 2023, Foto Michael Isenberg