Vox populi

 

Will man nicht nur Politiker reden lassen, die es notorisch tun und nicht lassen, sondern auch Volkes Stimme abhorchen, schickt man eine Reporterin oder sonst einen Volontär in die Fußgängerzone. Dort wird einem zufällig dahergelaufenen Exemplar des gemeinen Volkes das Mikrofon hingehalten. 

 

 

Und dann die Frage: „Wie hat Sie das entsetzt?“ – „Oh ja, ... ganz schön." – Schön sagen Sie? Das wundert mich." ...

Nun sollten Vertreter:innen dieser Zunft gelernt haben, W-Fragen, wie „wie“, „wozu“„weshalb“ oder was halten sie davon" zu vermeiden. Die Antwort könnte einen Befragten in einem solchen Überraschungsmoment überfordern, sähe er sich unter Umständen doch bemüßigt in ganzen Sätzen – welch ein Umstand! – zu antworten und in einem schlüssigen Diskurs den Sachverhalt darzulegen. „Also ..., wenn se mich fragen ... ? Ich sach ma so, ... wat willsse  auch sagen?“

Diesen Anfängerfehler machen einige Reporter:innen immer wieder. Da gibt es die anderen, die eine Antwort schon vorformulieren, so dass der/die Gefragte, gemessen an der Zeitdauer der Fragestellung, nur mit einem disproportionalen, einsilbigen „Ja“ oder auch „Nein“ antwortet. Schon ist die Sache fertig und eine neue Frage muss nachgeschoben werden. Nicht einfach, die Leute zum Reden zu bringen.

Ein Beispiel aus der Endphase der letzten Pandemie: „Was halten Sie davon, dass sie in der Außengastronomie jetzt wieder draußen ein Bier trinken dürfen?“ Ja, was nur? – Oft sieht man, wie der befragte Zeitgenosse daraufhin hilflos mit den Schultern zuckt und Wortbrocken auszustoßen beginnt, indem er als Ausdruck seines Empfindens vorgestanzte Floskeln zum Bestmöglichen gibt. Manche sagen „einfach nur Gänsehaut“, was angesichts der anfangs obwaltenden niedrigen Außentemperaturen einer gewissen Komik nicht entbehrte.

Zeitweilig war „einfach nur Geil“ die alles erschlagende, nicht mehr zu hinterfragende Antwort. Natürlich lässt sich das noch steigern, wenn man „super, mega" oder hammer" hinzusetzt. Affengeil" benennt, wo es eigentlich hinpasst.

In einer anderen Gemütslage verwendet mancher aus seinem kargen Wortschatz zum Nachdruck der Heftigkeit seiner Empfindungen ekelhafte Endprodukte der Verdauung und sagt: „Auf gut Deutsch, das ist doch ... .“ Wie gut das zu diesem Zweck bemühte Deutsch ist, soll dahingestellt bleiben.

Empfindungen zu benennen ist gewiss nicht einfach. Wenn sich einer zu mehr bemüht, als bloß „toll" zu sagen, so hört man auch bisweilen: Die Performance in der Location? Ich sag mal supi, voll toll. Emotion pur!" Freilich, die Vorstellung, die am besagten Veranstaltungsort gegeben wurde, ließe sich in der Meinung von „voll" als hervorragend und sehr bewegend ins Deutsche übersetzen. Doch „denglische" Vokabeln, die man immer wieder mal in den landesüblichen Satzbau einfügt, hören sich weltläufiger an und zeugen davon, dass man beizeiten eine  „abgeschlossene" Halbbildung genossen hat.

Dann gibt es auch noch die beliebten Leerformeln" – man beachte, das doppelte e –, die man nur sagt, um irgendwas zu sagen: „Ne, dat glaubse nich. Aber et is so. Und et is, wie et is".  „Oh ja,  da sach'se watt. Wenn de da mal Recht has, hasse Recht".

Oder nicht minder fix und fertig in wenigen Worten: „Wie jeht et?" „Och, et jeht!" „Dann jeht et ja." 

Nich wahr? Ich sach ma so: Man kann nich besser klagen" – „Hasse auch wieder Recht. Wat muss, dat muss. Wat willse machen?" – „Ich sach ja immer, machse ma wat falsch, is auch verkehrt." 

Eine derartige Unterhaltung habe ich mal an einer Bushaltestelle mitgehört und dachte bei mir, dass es doch Leute gibt, die sprechen, kaum dass sie wirklich was zu sagen haben.

Ein weiter Mal meinte einer der Wartenden an der Haltestelle : Et wär wohl Zik, dat de Bus ma kommen tät". Ein anderer: „'N jo, nachem Plan, dat tääät er jetzt, doch er tut et nich."

Andere hörte ich reden: „Wat hasse eben gesacht? Weisse, ich hör nich mehr gut." – Verstehe. Aber dafür siehst Du schlecht. Du stehst dei'm Köter auf'n Schwanz.„Na gut, wenn Du dat sachst.Aber der Ärmste jault schon die ganze Zeit." „Jo, manchmal is et auch besser, wenn man nix hören tut."

Meister des Minimalismus bringen es auf die Kurzformel: „Wie is?" „Muss. Und selbst?" 

Antwortet wer auf die Frage „wie geht es ihnen", mit Danke, gleichfalls!", kann man sich auch nicht sicher sein.

Fragen im pluralis benevolentiae (der Volksmund spricht vom Krankenschwester-Wir), in der Art: Wie geht's uns heute?", erfordern eine präzisierende Antwort: Ich weiß nicht, wie's ihnen geht. Was mich betrifft, wenn ich nicht liege, gehe ich aufrecht und spreche noch in ganzen Sätzen."

Dann auch: Schlimm, wenne älter bis und hinfällst." „Ach, schlimmer is, wenne aufstehen muss. Hinfallen geht von alleine". Und dann die Plattitüde: Ich sach immer, Hauptsache gesund. Wat willse mehr?"

„Na ja, wenne älter wirst, krisse Rücken. Wer hat den nich ... ?" Die Einfügung eines A-Worts an dieser Stelle lässt allerdings einen orthopädischen Sonderfall vermuten. 

Wenn einer erzählt, er sei völlig heiser und seine Stimme total im ... , so mag er vielleicht Recht haben, wenn er damit jene rückwärtige Körperfalte meint, wo die Sonne nie reinscheint.

Wenn nicht aus seinem Mund, wo werden auch sonst noch menschliche Laute laut? Sie müssen ja nicht artikuliert sein. Wohl aber setzen sie Akzente der Befindlichkeit. Denn schon der alte Luther sagte auf seine Art, als einer, der dem Volk im Sinne von Vox populi aufs Maul zu schauen riet: „Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz." Letzteren darf man expressis verbis so zitieren, zumal er unverzagt von Luther, der zu seiner Zeit sprachprägend war,  verwendet wurde. 

Einige Volksvertreter unserer Gegenwart verstehen sich darauf, sich mit einem simplen Schlagwort zitierfähig für Volkes Stimme zu empfehlen. Da sprach unlängst ein Minister, der später auch Kanzler geworden und nicht gerade für sein überschäumendes Temperament bekannt ist, schlicht und ergreifend vom „Wumms", später sogar vom „doppelten Wumms".  

Wenn ein anderer Politiker vom Stück Seife in der Dusche spricht, auf dem der Vertreter der Opposition mit einem Fuß stehe, so versteht das jeder als absehbaren Ausrutscher. Manche bildmächtigen und erinnerungsträchtigen Metaphern können einem Politiker auch schon mal peinlich anhangen, wenn er anscheinend in ständiger Wiederholung – so die Interviews mit ihm in mehreren Nachrichtensendungen ausgestrahlt wurden – davon sprach dass so etwas Widersinniges nur täte, wer mit einem Klammerbeutel gepudert worden sei". Wer wäre schon mit dem Klammerbeutel gepudert? 

In diesem Sinne auch ein weiteres, haarsträubendes Beispiel: So denkt nur einer, der sich, wenn es um's Kämmen geht, mit dem Hammer auf den Kopf haut." Oder dass ein Mitglied der Rechtspartei nicht das hellste Licht auf der Torte" sei. Ob einer nicht mehr alle Kekse in der Dose" oder Latten am Zaun" hat, nehmen die Stenographen des Bundestags wortwörtlich zu Protokoll.

Absolut wortlos und international verständlich lassen sich Emojis einprägsam einsetzen, deren Verwendung wir den Japanern abgeguckt haben. Ein Smiley hintangesetzt und schon muss man sich den Rest denken. Freilich taugt das nur für ein smartes Phone, denn diese Idiogramme sind für ein vorgehaltenes Mikrofon, das Volkes Stimme oder Stimmung aussenden möchte, nichtssagend im wahrsten Sinne des Wortes.

 

Foto: E. Isenberg