Als im März 1832 der hochbetagte Goethe an seinem Lebensabend dahindämmerte, soll er „mehr Licht!“ gefordert haben. Bei diesem berühmten Zitat mögen vielleicht einige an das „Licht der Aufklärung“ denken, so sie auch in den letzten Worten des großen Dichterfürsten Bedeutungsvolles erwarten. Doch zu vermuten ist, dass dem alten Freigeist an seinem Lebensende nicht mehr der Sinn nach Weltverbesserung gestanden haben wird.
In Wirklichkeit soll er in einem prämortalen Rückfall ins Hessische „m ä r l i e s c h t", ausformuliert „hia so schlescht", gebabbelt haben, was man als Ausdruck des Selbstbedauerns über die Beschwerlichkeit seiner Liegelage verstehen mag. Schon seit längerem war er bettlägerig. Ganz banal, er „musste" mal. Folgt man den Notizen seines Dieners, der ihm als letzter zur Seite stand, habe er in diesem Moment nur nach dem „Botschanper“ – Verballhornung von „pot de chambre" –, also nach dem Nachttopf verlangt, so er's nicht anders konnte als im Liegen.
Gewiss mochte es in den Stuben unserer Altvorderen recht dunkel gewesen sein. Die Häuser der sog. Kleinen Leute hatten niedrige Decken, gerade so, als passte es für sie. Und auch die Fenster waren entsprechend klein und ließen, selbst tagsüber, nicht viel Licht herein.
In den großbürgerlichen Häusern hingegen bemaß die Etagenhöhe mitunter mehr als die doppelte Körperlänge eines Erwachsenen, und auch die Fenster, erhöht durch Oberlichter, waren wesentlich lichter. Doch selbst in den feinen Salons hatte man gegen das Verblassen der bunten Bezugsstoffe und farbig gemusterten Tapeten Sonnenvorhänge vor die Fenster gezogen oder hielt Blendläden über Tag geschlossen, so dass auch dort die Herrschaften im Halbdunkeln herumtaperten.
Fehlte es aber, so draußen Nacht herrschte, gänzlich an Licht, erschienen nicht nur, wie es sprichwörtlich heißt, alle Katzen grau, auch unter den Menschen wären alle gleich, sehen wir, auf unsere natürliche Wahrnehmung verwiesen, doch im Stockfinstern nichts anderes als nichts, es sei denn, das natürliche Himmelslicht wie Mond und Sterne oder der Schein eines Ofenfeuers oder die Flamme eines handsamen Geleuchts erhellte uns die Nacht. Dem Volk, das nach dem Propheten Jesaja (Jes, 9) im Finstern wandelt, mochte seinerzeit wie auch nunmehr jederzeit, so die biblische Botschaft, im übertragenen Sinne ein Licht aufgehen.
Kerzenhalter mit Daumengriff
Mehrere Kerzen auf einem Armleuchter aufgesteckt, waren schon ein Luxus. Man möchte fast sagen, der helle (!) Wahnsinn. So heißt es in einem Lied: „Wie wird dann die Stube glänzen von der Lichter großen Zahl, schöner als bei frohen Tänzen ein geputzter Kronensaal.“ Im Normalfall sparte der Normalbürger an einer allzu üppigen Raumausleuchtung. An normalen Tagen ging er zur Lösung des Problems einfach früher ins Bett.
Einen mit Kerzen erhellten Raum erlebt man ganz anders, als mit dem schnell angeknipsten Allgemeinlicht heutiger Deckenleuchten. In unseren Tagen finden wir es vielleicht gemütlich, wenn der Schein einer ruhigen Kerzenflamme uns nur auf das Wesentliche konzentriert und das unwichtige Drumherum im Dunkeln lässt. Aber wenn sie im Windzug flackert, beginnen auch Licht und Schatten sich zu bewegen. Befindet sich eine größere Anzahl von Kerzen auf einem mehrarmigen Leuchter, kommt es zu einem dynamischen Lichtspiel von Mustern, die den Anschein geben, als greife eine riesige Krake um sich.
Mit einem Kerzenhalter in der Hand und den tanzenden Licht- und Schattenprojektionen der im Gegenwind bewegten Kerzenflamme nachts über einen dunklen Hausflur zu wandeln („Wer kennt ihn nicht, den Mann mit dem Licht?"), war seinerzeit für empfindsame und schreckhafte Gemüter schon eine Herausforderung. Andernfalls blieb man lieber in seiner Schlafkammer und holte das Nachtgeschirr unter dem Bett hervor. Wünschenswert, wenn man es, ob hockend oder stehend, im Dunkeln traf.
Das „DARMOL-Männchen" muss mal
Die Zeit von Kienspan, Kerze oder Petroleumleuchter ist aber nun vorbei. In modernen Zeiten gab’s dann Leuchtgas oder dank Thomas Alva Edison seit 1879 elektrische Glühlampen. Doch die leuchten nur, wenn sie unter Strom stehen. Wenn's aber nicht nötig erschien, hieß seit alters her die Ansage: „Mach das Licht aus! Das muss nicht sein, den Strom können wir uns sparen.“ Ganz einfach, mit Licht ist die Anwesenheit und der Verbrauch von Strom ganz „offensichtlich".
Schon Licht ohne Öl, wie uns seinerzeit das Desaster der „törichten Jungfrauen" im Gleichnis der Bibel (Mt. 25) belehrt, ging gar nicht. Auch Licht per Kerzenwachs, Petroleum oder Gas gab's und gibt's nicht umsonst, nicht mal bei der heutigen LED-Beleuchtung, bei der wir uns wegen des geringeren Stromverbrauchs gelassen geben und sie manchmal länger anlassen als nötig, geht's gänzlich ohne.
Früher hieß es immerzu, am Licht, das nach heutigen Maßstäben eh spärlich war, zu sparen. Heute ist das anders. Die Anwesenheit des Menschen, vor allem in städtischen Ballungsräumen, verrät sich aus der Weltraumperspektive auf der jeweils sonnenabgewandten, also nächtlichen Seite der rotierenden Erde durch unzählige Lichtpunkte. Schon angesichts der allgegenwärtigen Straßenbeleuchtung sprechen wir von einer regelrechten „Lichtverschmutzung“, während es früher, vorwiegend auf den Dörfern, nachts „stockdunkel" war.
Nebenbei gesagt, der besagte „Stock" zum „Dunkeln" ist von jenem Holzklotz abgeleitet, an den früher in finsteren Verließen Gefangene gefesselt wurden. Gefangen und vom Dunkel dort umfangen waren sie orientierungslos. Immerhin, wenn sie in dem stockdunklen Loch, in das sie geworfen wurden, keinen Abtritt finden konnten, sahen sie, auch wenn es sie auf Dauer stank, ihr Elend nicht, das im wahrsten Sinne des Wortes ein „beschissenes" war. Wohl aber fühlten sich Ratten dort zuhause, weil sie das Dunkel und den Gestank gewohnt waren. Wie man weiß, gingen sie dort ein und aus, zumal sie auch an steilen Wänden aufsteigen konnten und selbst Gitterstäbe kein Hindernis für sie waren.
In früheren Zeiten, wenn nachts in wenigen Häusern noch Licht, meist Kerzenlicht brannte, hatte das immer eine Bedeutung. Vielleicht die Umsorgung eines Kranken, eine bevorstehende Geburt. Manche Menschenkinder belieben in der Nacht das Licht der Welt zu erblicken.
Verstorbene wurden seinerzeit vor ihrer Bestattung einige Tage im Haus aufgebahrt. Für die Totenwache, bei der die Leute nicht im Dunkeln sitzen sollten, ließ man Kerzen über die ganze Nacht brennen. Die entwichene Seele der / des Toten hätte ja unbesehen um den verlassenen Körper und zwischen den Angehörigen herumspuken können.
Von außen vor dem Haus war das nur gedämpfte Licht allenfalls wahrnehmbar von nachtsichtigen Eulenvögeln. Kam ein Steinkauz bei der Jagd auf Nachtfalter nah ans Fenster herangeflogen, so hörte man seinen typischen „Kuwitt-Kuwitt"-Ruf. Die Angehörigen haben das als ein „Komm mit! Komm mit!" verstanden, in der Bedeutung, dass der „Totenvogel“ (mancherorts auch „Leichenhuhn“ genannt) gekommen ist, um die Seele des / der Verstorbenen zu holen.
Geschlossene Übergardinen und ein lichtdämpfender Lappen überm Lampenschirm waren noch einmal in den Kriegsjahren bei Verdunkelung vor Fliegerangriffen zwingend geboten.
Wie früher, und bei vielen noch etliche Jahre später, war es das Gebot der vorgerückten Stunde, dass man aus Gründen der Sparsamkeit oder weil es Tradition war, das Licht nicht gleich anmachte, auch wenn es draußen schon dämmerte. Vom Alten Herrn, dem Ahnherrn väterlicherseits, erzählte man mir, dass er nicht mal zur Nachtzeit das Licht angemacht habe. Als er in das Alter kam, in dem Männer öfters mal den Schlaf unterbrechen und zu einem gewissen Ort gehen müssen, sei er stets mit weit vor sich ausgestreckten Armen über den dunklen Flur gewandelt. Das ging solange gut, bis einer seiner Söhne einmal die Badezimmertür, die sich zum Flur hin öffnete, hatte halb offenstehen lassen. Das anfänglich treibende Bedürfnis des Nachtwandlers war schlagartig in den Hintergrund getreten. Mit dem nächsten Schritt und Eintritt ins Badezimmer bot sich ihm Gelegenheit, dort am Waschbecken die blutende Nase mit einem feuchten Lappen zu betupfen.
Stromsparen war damals ein verbreiteter Reflex. Als wir nach dem Krieg den ersten Kühlschrank bekamen, einen mit Stecker – also kein Eis-Schrank –, wurde er nur so lange angemacht, wie es konkret und kurzfristig was zu kühlen gab, wenn etwa die geschlagene Sahne bis zum absehbaren Eintreffen des Besuchs auf dem Kuchen steif bleiben sollte. Mitte der 50er-Jahre erlaubte man sich Kühlung auch im Dauerbetrieb. In jener Zeit witzelten die Leute, dass beim Öffnen der Kühlschranktür ein alter Grantler gegrollt habe: „Wenn ich den erwische, der da drinnen wieder mal das Licht angelassen hat!“
Vormals hieß die Devise, „immer der Letzte macht das Licht aus". Ich erinnere mich noch an die ungeheizte, im Winter bitterkalte Schlafstube meiner Großeltern. Ein Ofen dort, ging gar nicht. Wenn man sich gerade unterm Federpfühl warm eingemummelt hatte, ja heißa, wer wollte dann noch einmal aufstehen, um das Licht auszumachen?
Ich weiß noch, dass sich an Wintertagen an den eiskalten Fensterscheiben – selbstverständlich alles nur in Einfachverglasung – der über Nacht ausgeatmete Wasserdampf niederschlug, in der Folge, dass sich am anderen Morgen bizarre Eisblumen gebildet hatten.
„Tja, wer macht denn mal das Licht aus?", war zu Beginn der Nachtruhe immer wieder die Frage. Darum wurden in den Schlafstuben unserer Altvorderen ein- und ausrastende „Zugschalter" verwendet. Sie befanden sich oben unter der Decke und standen dort auf kürzestem Wege mit dem Stromkabel in Verbindung, das zur einzigen Lampe führte, die von der Decke mitten im Raum herabhing. Die Kordel zum Ziehen hing üblicherweise an der Wand hinter den Ehebetten herab, exakt in der Mitte und somit für Gattin und Gatte gleich nah erreichbar. Nach dem Gute-Nacht-Kuss war meist Schluss, d. h. in bürgerlichen Ehegemächern wurde kurzerhand die Leine gezogen, ohne dass einer wieder aufstehen musste. Besser auch das Licht blieb aus, so mochten etwaige eheliche Zuwendungen nach dem Zug der Kordel unbesehen bleiben, was erotischen Illusionen freien Raum beließ.
Damals war Strom im Haus gewiss ein Fortschritt, doch anfangs bei vielen Älteren immer noch mit einer gewissen Angst verbunden. Eine dritte Phase, der „Nullleiter“, war keineswegs Standard. Da suchte sich bei Überspannung, etwa bei Gewitter, der Strom auch schon mal sichtbar blitzend eine Abkürzung. Die Leitungen waren zur Isolierung des Drahts oftmals nur mit einem Textilgewebe ummantelt. In solch prickelnden Momenten standen manchem Zeitgenossen, wenn er auf der Leitung stand, die Haare zu Berge.
Drehschalter
Auch in den damals noch üblichen Drehschaltern, wenn sie nicht vollständig in die AUS-Stellung gedreht waren, also nicht einrasteten, begann es gelegentlich geheimnisvoll zu knistern. Und es hieß bei jenen, die sich auf alles einen Reim machen konnten:
„Sind im Schalter auch die Fünkchen noch so klein,
kann's in ihrer Vielzahl und auf Dauer sein,
dass es schmaucht dahinter in der Wand.
Und manchmal ward / am Ende auf diskrete Art
die noble Bude abgebrannt.“
Nach einem Essay des Autors in: Himbeerbonbons – heile Welt in einer noch wunden Zeit, Kindheit in den Nachkriegsjahren, Breslau 2020
Kerzenlicht, Foto Isenberg
Kerzenhalter mit Daumengriff und Drehschalter im Internatsmuseum Stift Keppel, Foto Isenberg
Literatur: Karl S. Guthke: Letzte Worte. Variationen über ein Thema der Kulturgeschichte des Westens, C. H 1990