Dem Autor dieses Artikels sind im Laufe der Zeit beim Einsortieren von Noten in ein Musikarchiv viele tausend Exemplare, darunter auch bemerkenswerte „alte Schätzchen“, durch die Hände gegangen. Da schaut man gerne zweimal hin, wenn sich erschließen lässt, dass die Notendrucke aus dem 19. Jahrhundert stammen. Wenn man als Verleger Anton Diabelli im Einbandtitel liest, wähnt man sich bei den vorfindlichen Originalausgaben in der Wiener Klassik angekommen.
Die alten Notenblätter sind zwar schon stockfleckig, aber das Umblättern halten sie noch schadlos aus. Das säurearm verleimte Papier mit paralleler Faserung zum Bund begünstigt die Flexibilität, ohne störende Steifigkeit, das heißt, die aufgeblätterten Seiten bleiben flachliegend geöffnet. Früher war es üblich, mehrere Notenbände zusammen in ein Buch einzubinden. So finden sich in der gleichen Sammlung auch Noten aus dem Verlag von Carl Anton Spina (1827-1906), Sohn von Anton Spina (1790-1857), der 1824 in die Firma Diabelli & Co, „K.K. Hof- und private Kunst- und Musikalienhandlung“ als Companion eintrat.
Das Geschäft befand sich im 1. Bezirk der Wiener Altstadt am Graben No 1133, Nr. 14, Ecke Bräunerstraße, im Arkadenhof des ehemaligen Palais Selb, seinerzeit bekannt durch den prachtvollen Renaissance-Innenhof (1566). In den rückwärtigen ebenerdigen Räumen des Hauses befanden sich im 16. und 17. Jahrhundert die Arrestlokale des Stadtgerichtes.
Später dienten diese Räume als Magazine der besagten Musikalienhandlung Diabelli beziehungsweise Spina. Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts wohnte in dem Hause auch der kunstsinnige Regierungsrat, Hoftheatersekretär und Schriftsteller (u. a. Librettist von „Fidelio“ von Ludwig van Beethoven) Dr. Josef von Sonnleithner. Sein Bruder führte von 1815 bis 1824 dort einen musikalischen Salon, in dem zahlreiche Lieder von Franz Schubert uraufgeführt wurden (in der Nachfolge „Schubertiaden“ genannt). Gemeinsam mit seinem Nachbarhaus, Nr. 15, wurde der Arkadenhof abgerissen und stattdessen 1874 der Grabenhof errichtet.
Besagter Diabelli (*1781) war selbst auch Komponist. Musikhistorisch ist er v. a. berühmt geworden durch seine 33 Variationen über einen im Grunde simplen, nach ihm benannten Walzer. Ludwig van Beethoven, der bei ihm drucken ließ und sich mit ihm angefreundet hatte, nannte ihn scherzhafterweise „meinen Diabolus“. Anton Diabellis Vater hieß – zum Teufel aber auch! – tatsächlich noch Dämon. Dem Sohn wollte es schicklicher erscheinen, den wenig vertrauenserweckenden Nachnamen zu verfremden, zu italienisieren – dort hieße der Zwietracht stiftende Ungeist „Diavolo" –, so dass er daraus den gefälligeren „Diabelli“ machte.
Bemerkenswert ist das im wahrsten Wortsinn „gestochen" scharfe Notenbild der alten Diabelli-Notenausgaben. In der Tat hat man früher Noten nicht gesetzt, sondern gestochen bzw. gestempelt, und zwar gleich in eine weiche Blei-Zinn-Antimon-Legierung. Mit einem fünflinigen Rastral wurden vorab die Notenzeilen gezogen, mit Stahlstempeln ganze und halbe Noten, Vorzeichen und Notenschlüssel in die Platte geschlagen und mit dem Stichel Notenhälse ins Blei gegraben. Alles in Handarbeit.
Was die Taktgliederung und Zeichenfolge der Noten betraf, ließen sich die Abstandsweiten variabel einrichten, ebenso die Seitenumbrüche, so dass an passenden Stellen umgeblättert werden konnte. Notenkundig mussten die Notenstecher schon sein und auch Verständnis für die praktischen Aufführungsbedürfnisse der Instrumentalisten und Sänger mitbringen.
Viele der alten Notenstiche, oftmals Erstausgaben, sind Jahrzehnte lang immer wiederverwendet worden, da es für neue, ggf. bessere Fassungen offenbar kaum Bedarf gab.
Später hat man von den Original-Notenstichplatten Barytabzüge angefertigt, von denen direkt Positivfilme für den Offsetdruck oder Buchdruckklischees hergestellt werden konnten. Die heute von nahezu Jedermann mit Hilfe von Computerprogrammen digital „gesetzten“ Noten reichen an die frühere Qualität selten heran.
Es ist auffällig, dass die meisten Notenverlage es immer noch vermeiden, die Jahreszahl der Druckausgabe anzugeben, dem Anschein nach zeitlose Notenbilder, manchmal so alt wie die Komposition. Zumeist sind die Druckfahnen nach dem ersten Andruck von den Komponisten noch selbst durchgesehen und gegebenenfalls revidiert worden. Auf den weichen Bleiplatten ließen sich falsche Noten leicht wegplätten. Noch heute ist der Platteneindruck (Tiefdruck) ins Papier in deutlichem Randabstand zum Notensystem zu sehen.
Selbst bei gewissenhafter Übertragung vom Manuskript des Komponisten auf die Druckplatten passierten immer wieder Fehler, zumal die handgeschriebenen Noten oftmals flüchtig, rasend schnell, wie die auswendig, d. h. aus dem Gedächtnis repetierten Töne, fast in Echtzeit zu Papier gebracht wurden. Nicht wenige Melodien entstanden zunächst nur im Kopf, selbst das Arrangieren der passenden Harmonik wurden oftmals ohne Erprobung mit einem Instrument, gleich handschriftlich in Noten fixiert. So brauchte Franz Schubert, wie überliefert ist, zum Komponieren meistens nur einen Schreibtisch vor sich.
Entsprechend rätselhaft zeigte sich mitunter das gehuschte Geschreibsel für den Notenstecher, der sich im musikalischen Sinne einen Reim darauf machen musste. Während der gelegentliche „Dreckfuhler“ = Druckfehler im Buchstabensatz immer noch den Wortsinn, v. a. im Textzusammenhang, erahnen lässt, konnte eine einzige falsche Note der Komposition eine völlig entstellende Wendung geben. Ob es auch Notenstecher gab, die sich wie vormals beim Buchdrucker Johann Ballhorn († 1603) eigenmächtige Verbesserungen bzw. Verschlimmbesserungen, also „Verballhornungen“ anmaßten, ist nur selten in die Öffentlichkeit gelangt. Zwingend ist immer die Beachtung einer stimmigen Noten-Mathematik. Durch die Revision der Komponisten selbst, soweit sie zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch lebten, war letzthin garantiert, dass wir heute spielen und hören, was damals so auch von ihnen gedacht war.
Original-Titelkupfer zu einer DIABELLI-Notenausgabe
Ins Blei gestochen, heißt in Spiegelschrift gefertigt. Auch in dieser Hinsicht waren Notenstecher Künstler. Ebenso künstlerisch sind die aufwendigen, dekorativen Titelkupfer gestaltet. Auch hier hat man oft die Titelseiten, die schon beim ersten Erscheinen die Notendrucke zierten, bei den nachfolgenden Ausgaben, selbst bis in unsere Zeit, wiederverwendet bzw. photomechanisch faksimiliert.
Was Diabelli betrifft, so weiß man, dass er 1818 durch seine Bekanntschaft mit dem Wiener Verleger Peter/Pietro Cappi († 1826) in das Verlagsgeschäft einstieg. Den Musikalienhandel, den beide zunächst gemeinsam betrieben, übernahm Diabelli sechs Jahre später auf alleinige Rechnung. Als Verleger förderte er einige der großen Komponisten seiner Zeit: Hier sind neben Franz Lachner, Michael und Joseph Haydn, Luigi Cherubini, Mozart und vor allem Franz Schubert zu nennen.
Diabelli wurde für sein Lebenswerk mehrfach ausgezeichnet. Die Gesellschaft der Musikfreunde Wien und der Dommusikverein in Salzburg ernannten ihn zum Ehrenmitglied, der österreichische Kaiser verlieh ihm den Titel eines „k. k. Hofmusikalienhändlers“. Am 8. April 1858 starb Diabelli, letzthin dement, „in geistiger Umnachtung“, wie man es früher auch nannte. Auf dem Sankt Marxer Friedhof in Wien wurde er beerdigt.
Anton Diabelli, Lithographie von Josef Kniehuber, 1841, gemeinfrei
Repro von einer Originalausgabe von DIABELLI aus dem Notenarchiv von MakSi in Stift Keppel
Aufn. Erwin Isenberg, Wien 2019