Nun mal im Ernst!

 

Nach Psalm 90, 12 mag der aufgeklärte Christ beten: „HERR, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden." 

Oder das Zitat von Christian Fürchtegott Gellert (1715-69), einem Dichter der Aufklärung. Von ihm stammt ein Satz, der sich zur Einübung der Zeichensetzung verwenden lässt:  „Lebe_, wie du_, wenn du stirbst_, wünschen wirst_, gelebt zu haben“. 

Formaliter gesehen mag es in diesem Satz beispielhaft um Beistriche gehen, die nach den Regeln der Rechtschreibung an den rechten Stellen (_.) platziert sein sollten. Inhaltlich zielt der Satz auf die Sinngebung unseres Lebens ab, was wohlweislich heißt, beizeiten klug zu sein.

Der Hedonist hingegen, so er keinen höheren Sinn als die Lust des Augenblicks kennt (carpe dièm!), mag sich in einem lebenslangen „Trallala" sinnlos zu Tode amüsieren.

 

Schluss mit lustig

Wenn durch die Gassen Salzburgs vom Domplatz her der gedehnte Ruf „Jeeeed‘rmaann!“ gellt, dann ist mal wieder Festspielzeit.* Dann ist es im „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ wieder der Moment, dass Schluss mit lustig ist. Und besagter „Jedermann“ steht gnadenlos für ausnahmslos. Wenn es auch irgendwann für jeden sein muss, kommt mitunter der Tod zu einer Zeit, wenn man gerade nicht mit ihm rechnet.

Tot mit „t“ ist ein Zustand, das Gegenteil zum Leben. Der Tod mit „d“ als Verursacher ist für unsere Wahrnehmung oft personifiziert, wie in diesem Mysterienspiel nach mittelalterlichem Vorbild. Hierzu erscheint vor dem Dom in Salzburg plötzlich, während eine illustre Gästeschar dort auf den Stufen in Saus und Braus feiert, ein Knochenmann", heuer – wir sind ja geschlechtergerecht – auch ein Skelett mit weiblichem Becken – leibhaftig auf der Szene. „Kenn dich nit, was bist du für ein Bot'?", fragt ihn der Gastgeber und erhält zur Antwort: „Ich bin der Tod, ... scheu keinen Mann (?). / Treff jeglichen an / und verschone keinen."

 

Auf den Tod ist Verlass

Auf Sense(n)mann & Söhne, so darf man sagen, ist Verlass. Wäre es eine Firma, auf jeden Fall ein krisensicheres Geschäftsmodell. In dem Kirchenlied von Melchior Vulpius aus dem Jahre 1639 heißt es gleich in der ersten Strophe „Christus, der ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn“.

Für Institute des pietätvollen Abgangs nur eine Frage des gewünschten Aufwands, also keine Frage von ob", sondern von wie". In einem Stadtteil Berlins, wo sich ein Ladenlokal dieser Branche an das andere reiht, sah ich im Schaufenster das Reklameschild: „Jetzt zahlen und später sterben, zu einem garantiert kostendeckenden Festpreis!“  Mit dem Tod kann man rechnen, auch im geschäftlichen Sinne.

 

 

Dass er kommt,

ist keine Frage

Jedermannes Tod auch weiblich?

Geschlechtergerecht, wie‘s doch heutzutage immer sein soll, fragt man sich allerdings, warum nicht auch Sense(n)frau & Töchter?  Wäre denn „der“ Tod nur männlich? Zweifellos, der Artikel im Deutschen macht ihn maskulin.

Allerdings mit Faucheuse im Französischen und Parza oder Muerte im Spanischen und Morte im Portugiesischen kommt der Tod auch feminin daher. Frauen, die als Mütter Leben hervorbringen, sind viel näher dran am „Lebensfaden“. Sind sie es nicht, die ihn über die Nabelschnur anlegen?

Unter den antiken Schicksalsgöttinnen waren es in der römischen Mythologie die „Parzen“ – den „Moiren“ der Griechen entsprechend –, unter ihnen Nona", die damit beginnt, den besagten Lebensfaden zu spinnen. Dann auch Decima", die über das weitere Geschick entscheidet, ob der Lebensfaden locker oder gespannt erscheint. Schließlich noch Morta", die Tödliche, die den Lebensfaden am Ende definitiv durchtrennt.

 

Ein unerfüllter Menschheitswunsch

Zum Kennzeichen des Lebens gehört, dass es in einem fortwährenden Fließgleichgewicht von Input und Output zunächst den Level des Organischen ansteigen lässt, also in Masse und Klasse anwächst, aber auch wieder vergeht. Konstruktion und Destruktion, letzthin zum Anorganischen, sind immanent, kurz gesagt, das Leben ist tödlich. 

Ein Lebenskraut war uralter Menschheitswunsch. Ihn kennen wir bereits aus einem altbabylonischen Epos, in dem Gilgamesch seinerzeit einen tiefen Schacht grub. Mit schweren Steinen, die er sich an seine Füße gebunden hatte, ließ er sich in unterirdische Wasser nieder, bis er auf den Grund hinabgesunken war. Dort wuchs ein stechendes Gewächs! Als er von dem Kraut genommen hatte, schnitt er die Steine von seinen Füßen ab und trieb wieder nach oben. Dort wartete bereits der Fährmann auf ihn, der mit ihm zurück musste, weil er ihn – einen Sterblichen – in dieses Land geführt hatte. „Fährmann, diese Pflanze ist ein Kraut, von dem ein alter Mensch wieder jung wird. Ich will sie nach Uruk bringen und sie den Menschen dort zu essen geben. Dann werden wir erfahren, was diese Pflanze kann. Ich selbst will auch davon essen, dass ich wieder bin wie früher“.

Auf dem Heimweg kamen sie an einen Teich. Gilgamesch stieg hinein, um sich zu waschen. Den Duft der am Ufer abgelegten Pflanze hatte eine Schlange gerochen. Schon kam sie verstohlen herangekrochen und fraß sie auf. Als sie wieder wegschlich, häutete sie sich bereits und kam wie neu an ihren Platz zurück. Als Gilgamesch aus dem Wasser stieg und sah, was passierte, war er untröstlich. Das Böse, für das gemeinhin die allzeit verfluchte Schlange steht, scheint nie auszusterben. Es schleicht sich immer wieder ein. 

Dem Kriechtier, das in neuer Haut zurückkam, gelang, was den Einwohnern von Uruk und der gesamten Menschheit auf immer versagt bleiben sollte. Also nichts mit Ewigem Leben" oder ewiger Jugend". Wenn es einen Jungbrunnen" gäbe, wo wäre er? 

 Der Jungbrunnen auf der Schweizer 500-Franken-Banknote von 1957

Alte Männer und Weiber werden nach dem Bad wieder zu Jünglingen und jungen Frauen.

Links ein alter, abgemagerter Hund, rechts Hasen als Symbol der Fruchtbarkeit.

 

Später reimte Hans Sachs im Gedicht Gevatter Tod (1547): 

„Darumb ist das als Sprichwort war: Kain Krawt sei für den Dot gewachsen, wirt auch verschonen nit Hans Sachsen.“

 

Gevatter Tod

Vom besagten Gevatter Tod wird auch in einem Hausmärchen der Brüder GRIMM erzählt. Nicht gerade eine gute Gute-Nacht-Geschichte, zumal sie beim abendlichen Vorlesen, wenn die Kinder bereits im Bett liegen, wenig beruhigend ist, handelt sie doch vom Tod, der mit der Sense zu seiner Rechten schon vorm  Bettende steht.

Kurz zur Vorgeschichte: Ein armer, verzweifelter Mann soll für sein dreizehntes (!) Kind einen Gevatter, einen Paten gesucht haben. Den lieben Gott lehnte er ab („du gibst den Reichen und lässt den Armen hungern“) wie auch den Teufel („du betrügst und verführst die Menschen“). Nur den Tod akzeptierte er, zumal er alle, egal ob arm oder reich, gleich macht.

Der Tod zeigt dem Kind später ein Kraut, womit es Kranke heilen darf. Jedoch nur in den Fällen, wenn der Tod hinter ihnen, nicht aber zu ihren Füßen steht. Doch er warnt, das Gebot nie zu übertreten. Inzwischen ist das Kind erwachsen und wird bald als Arzt für seine Klarsicht berühmt und reich.

Als schließlich erst der König, dann dessen Tochter schwer erkranken, wobei sie dem Retter zur Frau versprochen ist, fällt ihm ein, sie im Bett doch einfach zu drehen, mit dem Kopf zum bisherigen Fußende.

Der Tod sieht dem Arzt den Schwindel noch einmal nach. Das zweite Mal aber holt er ihn und zeigt ihm in einer Höhle die Lebenslichter der Menschen. Das Seinige ist gerade im Begriff auszulöschen. Auf sein Bitten holt der Tod, allerdings nur zum Schein, eine neue Kerze. Er hält sie jedoch mit dem Docht nach unten – also falsch herum, wie auch das Krankenbett, das jener umgedreht hat –, so dass die Flamme, die übergeben werden soll, im bereits verflüssigten Wachs ersäuft. Damit erlischt auch das Lebenslicht des Arztes.

 

 

Am Fußende wartet schon Gevatter Tod als Sensenmann,

an seiner Seite steht ein nachdenklicher Arzt. 

Illustration – Holzschnitt von Ludwig Richter – zu Gevatter Tod",

einem Hausmärchen der Brüder Grimm 

 

Im Unterschied zum unbedarften Dahinleben der übrigen Kreatur wissen wir sehr wohl, dass unser Leben enden wird. Doch hinzunehmen, was wir aus Erfahrung wissen, fällt uns schwer.

 

Ein anderes Leben nach dem Tod

Ärzte sind's, die immer wieder wider den Tod antreten. Letzten Endes vergeblich. In alten Sterberegistern galt es anzumerken, ob der Dahingeschiedene mit oder ohne Anwesenheit eines Arztes verstorben war, ihm der Tod also definitiv bescheinigt werden konnte. Wer wollte auch seinen für tot gehaltenen Angehörigen nach dem Absenken ins Grab noch dumpf gegen den Sarg klopfen hören?

In den Habsburger Landen hielt sich die Angst vor dem Scheintod noch bis Ende des 19. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit führte die gruselige Vorstellung von Untoten oder Wiedergängern à la Dracula regelrecht zu einer Manie.

Von Leichenbittern" – Todesanzeigen auf zwei Beinen", wie man sie auch nannte, Personen also, die von Haus zu Haus gingen und nach einer Adressenliste an die Tür oder mit einem Stock an den Fensterladen klopften, um im Namen der Hinterlassenen zum Begräbnis einzuladen –, wurde seinerzeit kolportiert, dass ihnen nach Beendigung ihres Umgangs  zur großen Verblüffung höchstpersönlich vom vermeldeten Verstorbenen die Haustür geöffnet worden sei. Das habe mancherorts dazu geführt. dass den Verstorbenen sicherheitshalber ein Pflock oder Nagel ins Herz getrieben worden sei. Dabei mag man an den redensartlich überlieferten „Stich ins Herz" denken.

In Zeiten vorwissenschaftlicher Medizin, als man noch von den Heilkünsten" sprach, hielt man sich eher an Theorien, als nach praktisch erprobten Kenntnissen zu diagnostizieren und therapieren. Da starb mancher Kranke oder eine gebärende Frau und ihr Kind nicht nur mit/trotz Arzt, sondern fatalerweise auch wegen ihm. Wie das mit Theorien so ist, manche sind praktisch falsch. Zynisch gesagt: Die Armen starben ohne Arzt, die Reichen, weil sie sich ihn leisten konnten, womöglich durch den Arzt. Mit Klistieren traktiert, geschnitten und zur Ader gelassen, hat mancher gerade deshalb saft- und kraftlos vorzeitig sein Leben gelassen.

Ein erfahrener Medicus mag im Einzelnen die Ursachen kennen und im gegebenen Fall den Exitus erkennen, aber die Folgen für uns selbst, bleiben, ehrlich gesagt, unvorstellbar. Da behelfen wir uns in tödlichen Angelegenheiten mit dem zwanghaft gedachten, weil wir’s nicht anders kennen, „anderen L e b e n“ nach dem Tod, ob im Hades oder Himmel.

 

„Ist er, bin ich nicht“

Hierzu folgender nicht todernst zu nehmender Kurzdialog: Auf die Frage, „Was sind Sie von Beruf?“ „Ich bin der Tod und bringe den Tod!“ –  „Ach? Und davon können Sie leben?“

In der Tat, dem Tod gehen die Kunden nie aus. Davon kann er leben, was man beim Tod so leben nennt. Aber wir, die Lebenden, müssen im Bewusstsein darum unser Leben lang damit leben. Wir können nur ahnen, was wir nicht wissen. Mors certa, hora incerta, der Tod ist gewiss, die Stunde, in der er kommt, aber ungewiss. Man könnte es auch halten wie Epikur:

„Mit dem Tod habe ich nichts zu schaffen.

Bin ich, ist  e r  nicht. Ist er, bin  i c h  nicht.“

 

Lange Zeit hielt sich der Brauch, den Überbringer in das Reich des Todes mit einem Obolus zu entlohnen. So legte man den Toten in den offenstehenden Mund – anfangs lässt die Anspannung der Kiefernmuskulatur bekanntlich nach – eine Münze unter die Zunge, bevor man ihn vor Eintritt der Leichenstarre endgültig verschloss. Ursprünglich gedacht als Entlohnung für den Fährmann Charon, zuständig für die Überfahrt der Toten über den Fluss zum Totenreich des Hades

 

 

 Luca Giordano: Die Barke des Charon, 

in der Mitte Fährmann Charon, links unten: die vom Schnitter Tod Dahingemähten, rechts unten: die Unterwelt,

aus ihr zurückzukehren, wird vom Höllenhund Cerberus verwehrt, rechts oben: die Seligen im Elysium

Fresko in der Galerie des Palazzo Medici Riccardi, Florenz (1684–1686)

 

Ewige Gottesferne, was die Hölle ist.

Wo auch immer er uns übersetzt, ob ans andere Ufer eines Flusses, also irgendwie jenseits von hier und jetzt, oder ob man uns bloß fallen oder „hinabsteigen"  lässt in das Reich des Todes“, wie es im christlichen Glaubensbekenntnis heißt.

Blieb man allerdings auf Dauer da „unten", also fern von Gott, so müsste das die Hölle sein. Luther sprach 1533 in seiner Torgauer Predigt selbst von einer „Höllenfahrt Christi", so es im Credo heißt: „Descendit ad inferna ..." (hinabgestiegen in das Reich des Todes). 

Bei fortwährendem Aufenthalt dort wäre das in der Tat die Hölle. Tertia die resurrexit a mortuis ..." (am dritten Tage auferstanden von den Toten) ging mit seinem Tod auch Christus diesen Weg. Darin ist er uns Menschen gleich.

Doch nach dem „Erleben" der Hölle, ascendit in caelos", sodann aufgefahren in den Himmel", sedet ad dexteram Patris, sitzt er zur Rechten des Vaters, dem Ort ewiger Seligkeit.

 

Der Schnitter

Nun zum besagten Sensenmann, den man als Schnitter oder auch, wie schon gesagt, als Gevatter Tod kennt. Oft in der knöchernen Gestalt des „Klapperhannes“ dargestellt, der mit einer Sense die Menschen unterschiedslos dahinmäht. Die ausdrückliche Verbindung zwischen Tod und Schnitter, einem sensentragenden Landarbeiter, wurde schon in der Bibel hergestellt, so im Gerichtswort des Propheten Jeremia (Jer 9,20) über Juda: „Der Tod ist durch unsere Fenster gestiegen / eingedrungen in unsere Paläste. Er rafft das Kind von der Straße weg, von den Plätzen die jungen Männer. Die Leichen der Leute / liegen wie Dünger auf dem Feld, wie Garben hinter dem Schnitter; keiner ist da, der sie sammelt.“ 

Auch im Matthäusevangelium (Mt 13,39), im Gleichnis vom Unkraut, wird die Welt mit einem Acker verglichen, die Frommen mit Weizen, die Bösen mit Unkraut. Dort sind es die Engel, die im Endgericht als Schnitter alles „abernten“. Nach eingehender Sichtung wird das Unkraut aussortiert und verbrannt.

 

Die Apokalypse

Bei der Personifizierung des Todes in der Geheimen Offenbarung des Johannes handelte sich nicht um einen Schnitter, sondern um den vierten Reiter auf einem fahlen, blutarmen Pferd, hinter dem alle Bewohner der Unterwelt herziehen (Offb 6,8).

 

 

Die apokalyptischen Reiter (Gemälde von Wiktor Wasnezow, 1887)

 

„Das Lamm öffnete das erste der sieben Siegel und ich hörte das erste der vier Lebewesen wie mit Donnerstimme rufen: Komm! Da sah ich und siehe, ein weißes Pferd; und der auf ihm saß, hatte einen Bogen. … Als Sieger zog er aus, um zu siegen. Als das Lamm das zweite Siegel öffnete, hörte ich das zweite Lebewesen rufen: Komm! Da erschien ein anderes Pferd; das war feuerrot. Der auf ihm saß, wurde ermächtigt, der Erde den Frieden zu nehmen, damit die Menschen sich gegenseitig abschlachteten. Und es wurde ihm ein großes Schwert gegeben. Als das Lamm das dritte Siegel öffnete, sah ich ein schwarzes Pferd. Der auf ihm saß, hält in der Hand eine Waage." Das dritte Pferd, ein Rappe, mag mit seiner schwarzer Farbe Tod und Hunger symbolisieren, die Waage Teuerung und Knappheit. Als das Lamm das vierte Siegel öffnete, hörte ich ein viertes Lebewesen rufen: Komm! Da sah ich und siehe, ein fahles Pferd; und der auf ihm saß, heißt ‚der Tod‘; und die Unterwelt zog hinter ihm her. Der Gefolgschaft wurde die Macht gegeben, zu töten durch Schwert, Hunger und Tod. (Offb 6,1–8) EU“

 

 Gnädiger Tod

Selten ist der Tod, wie es die meisten für sich wünschen, gnädig". Auch der Applaus, wenn der letzte Vorhang fällt, ist uns nicht sicher. Oft ist der Tod unbarmherzig, mitunter qualvoll, und trifft manchen unvermittelt und unversöhnt. Immer ist er unabdingbar. Media vita in morte sumus (mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen) beginnt ein Choral aus dem frühen Mittelalter.

ISonnengesang" des hl. Franziskus heißt es: „Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester (!), den leiblichen Todihm kann kein Mensch lebend entrinnen. Wehe jenen, die in tödlicher Sünde sterben. Doch selig jene, die er findet in deinem heiligsten Willen, denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun."

Was uns betrifft, dürfen wir – vom heiligsten Willen" beseelt – dennoch ganz bei Trost sein. Hierzu in eigenen Worten: 

 

Ich sag Dir was, ich frag mich was, / ist es das Ende? War es das,

schon alles und nicht mehr? / Kommt noch was hinterher?

Denk an den Löffel in der Hand, / den man bei einer Toten fand.

Nicht anders habe sie‘s gekannt, dass hinterher

nach dem Verzehr / folgt in der Regel das Dessert.

Das heißt, sie hoffte, wie in allen Jahren,

dass es am Ende noch was geben muss.

Und immer wieder konnte sie‘s erfahren,

das Beste, ach, kommt erst zum Schluss.  E. Isenberg

 

Seit Adam und dem ersten Übel

Unter manchem Kruzifix findet man zu Füßen des gekreuzigten Christus Adams Totenschädel dargestellt. Es heißt, ein Engel Gottes sei Sem, dem ältesten der drei Söhne Noahs, erschienen und vor ihm hergegangen. Als sie nach Golgota kamen, wo man den Mittelpunkt der Erde annahm, setzte Sem auf Weisung des Engels die sterblichen Überreste des Urvaters Adam bei. An dieser „Schädelstätte“ wurde mit ihm zugleich das Haupt aller sterblichen Menschen symbolhaft abgelegt.

 

 

Adams Totenschädel 

zu Füßen des gekreuzigten Christus auf Golgota. 

Sandsteinfigur, mit Franziskus unter dem Kreuz, 

im St.-Viktor-Dom in Damme (Niedersachsen, Kr. Vechta)

 

Dass die Menschen zum leiblichen Tod verdammt sind, ist schon Genesis 3. 1-3 zu entnehmen. Dort heißt es: Die Schlange, die schlauer war als alle Tiere des Feldes. Sie sprach zur Frau: Hat Gott wirklich gesagt, ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen? Da entgegnete sie: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: (Gen 3,2Vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse dürft ihr nicht essen. Sobald ihr davon esst, werdet ihr sterben."

Genauso kam es. In der Folge gelangten unsere Urahnen zur Erkenntnis, dass zu ihrem Leben künftig auch immer der leibliche Tod gehören wird. Erst durch den Kreuzestod Jesu, so lässt sich das Bildprogramm deuten, konnten die Menschen von dem besagten zweiten, dem ewigen Tod erlöst werden. Wie bereits gesagt: Was ihn betrifft, sind wir bei Trost.

 

Vielfach aus dem Blick geraten

Früher behielt man die Gräber der Verstorbenen, die uns vorausgegangen sind, im Blick. Bevor es „Friedhöfe“ gab, meist am Rande des Ortes, fanden die Toten auf „Kirchhöfen“, auch mitten im Dorf, ihre letzte Ruhe. Bei jedem Kirchgang gingen die Angehörigen an den Gräbern vorbei, „an der Mutter Grab, an Tant‘ Marias ihrem und an dem vom Onkel Ludwig.

Nicht zu vergessen Pfarrer Leberecht, seligen Angedenkens Don Promillo" genannt, da er als Geistlicher oft geistigen Getränken zugetan war. Daher hatte der hiesige Kirchenvorstand auch die geistreiche Idee – manche hielten es für eine Schnapsidee –, seine Grabstelle mit einem Wacholderbusch zu bepflanzen.“

In Bayern findet man auf alten Kirchhöfen manchmal einen kleinen Kessel an den Grabstellen aufgestellt. Darin befindet sich Wasser, in das man, wie sonst beim Weihwasserbecken am Eingang der Kirche, seine Finger eintauchen kann, um sich damit zu bekreuzigen. Segensreich gewiss auch außerhalb der Kirche, da es dort draußen in der Regel als Regen vom Himmel herabgekommen ist, wo manche ihre Verstorbenen schon selig wähnen. Doch wer kann sich da so sicher sein?

Die Altvorderen erinnern sich beim Requiem der vorkonziliaren Kirche vielleicht noch an den mittelalterlichen Hymnus „Diés irae" (Tag des Zornes), der Jedermann vorm Tod und das, was nach ihm kommt, das Fürchten lehrte. Von wegen, das Beste kommt noch. Demnach wohl eher das Schlimmste, heißt es doch dort: 

 

Quantus tremor est futurus, / quando iudex est venturus ,/ cuncta stricte discussurus! "

(Welch ein Zittern und ein Zagen, wenn der Richter künftig kommt mit Fragen, streng zu prüfen alle Klagen!) 

Nichtigkeit

In alten Kloster- und Stiftskirchen erinnern Epitaphien an Bestattungen, die man selbst im überbauten Kirchenraum vornahm, was bedeutet, dass die Lebenden und Toten für alle Zeit im Gottesdienst vereint sein sollen. Keine Scheu ob der gemeinsamen Anwesenheit, auch wenn die Kirchenbesucher mitunter über Bodengräber, heißt Leichen, gehen müssen.

Wenn’s denn schließlich am Platz mangelte, wurden die verbliebenen Gebeine, vor allem die Schädel ausgesondert und in Ossarien gesammelt.

Es fragt sich, ob am Jüngsten Tag wohl ein jeder noch die Kniescheibe am linken Bein oder sein rechtes Schlüsselbein finden wird? Schließlich ist fraglich, ob man sie in den höheren Sphären, im vermutlich schwerelosen Raum überhaupt noch nötig hat?

Unterdessen grinsen in den Gewölben aufgetürmte Totenschädel breit mit blecken Zähnen und lassen den Beschauer schaudern, wie zum mahnenden Vorwissen, zum Memento mori: „So siehst auch du, der du sterblich bist, bald aus!“ Da sieht man es wieder: „Nichtigkeit“, „Vergeblichkeit“, oder wie Luther die Vanitas in Kohelet (Koh 1,2) übersetzte: „Alles ist eitel“

 

 

 

Der Tod und die Frau  

(Hans Baldung 1520/25)

 

Andernorts sieht man als Vanitas-Motiv, wie sich auch dort der Tod die vom Zahnfleisch entblößten Zähne langmacht und in die alabasterweiße Wange eines vordem prallen weiblichen Wesens beißt. Oder sollte es der „kalte Kuss des Todes" sein? Jedenfalls vereinnahmt er auf übergriffige Art die vordem vielleicht noch lebensfrische, nunmehr aber leichenblasse Frau für sich. 

Bedeutungsvoll sagen die alten Leute, wir alten Menschen „müssen“ sterben. Doch auch junge Menschen „können“ sterben. Noch Anfang des vorigen Jahrhunderts erlebte man in den Familien oft den Kindertod. Infektionskrankheiten, gegen die noch kein Kraut gewachsen war, rafften, wie die Spanische Grippe, die 1918 plötzlich auftrat und bis 1920 weltweit wütete, je nach Schätzung 20 bis mehr als 100 Millionen Menschen hin. Sie hinterließ wahrscheinlich mehr Tote als jede andere Krankheit davor und danach in der Geschichte. 

 

 

 

Klassizistische Marmorfigur aus dem 19. Jhdt., die einem zehnjährigen Kind,

das Ende 1919 an der „Spanischen Grippe" starb, aufs Grab gesetzt wurde.

 

Wenn nicht real, so doch oft medial

Heute wird der Tod immer mehr aus unserem Blick und Denken verdrängt. Ersatzweise wird er einem nur noch abends im Fernsehen, im „Tatort“ oder sonst einem Krimi zugemutet, wo man mit einem gewissen Unterhaltungswert den Weg zur kriminalistischen Endlösung mit Leichen pflastert. 

Ein Gerichtsmediziner, der in früheren Filmen allenfalls mit weißem Kittel kurz auf der Szene erschien und seinen Befund mitteilte, rückt heute mitunter mit einer Hauptrolle fast in den Mittelpunkt. Während der Arzt der Lebenden bestenfalls ahnt, was seinen Patienten fehlen könnte, ist sich der Gerichtsmediziner in seiner Diagnose todsicher". War womöglich die letzte, noch unverdaute Mahlzeit, ein Pilzgericht vom bittersüßen Speierling", ursächlich für den Exitus der jungen Frau? Zufällig oder herbeigeführt? Dass es ihr schon vorher immer wieder „speiübel" war, hatte mit einer Schwangerschaft zu tun, die im dritten Monat nun auch nachgewiesen werden konnte . 

Gleichwie, mit einem DNA-Test will man dem Erzeuger auf die Spur kommen. Wer denkt dabei, wie es GOETHEn einst zu Tod und Teufel fabulierte, nicht an das verzweifelte Gretchen, als sie kurz nach ihrer Menarche, sozusagen blutjung, dem alternden aber lebensgierigen Dr. Heinrich Faust, dem von Mephisto verleiteten Erotomanen und schwängernden „Lustmolch" (Heinrich, mir graut's vor dir!), erlag?

 

Die Toten lehren die Lebenden

Da wäre also nichts, was der allwissende Gerichtsmediziner post mortem nicht wüsste. Mortui vivos docent, die Toten lehren die Lebenden", steht apodiktisch auf einem Schild an der weißen Kachelwand hinter ihm. Ansonsten ziert den sterilen Saal nur wenig, was gefällig wäre, außer ein paar Wandkarten mit anatomischen Innereien nebst einer Glasvitrine, darin „Hirn an Formalin" und der eingemachte, dunkelrote Leberlappen, der zu Lebzeiten – in wessen Körper auch immer – mit den Anforderungen unmäßigen Alkoholgenusses mächtig gewachsen, letzthin aber doch überfordert gewesen sein dürfte. 

Die totspielende Statistin mit dem Nummernzettel am großen Zeh hat man bereits auf dem Leichentisch abgelegt. Danach wird das bedeckende Leinentuch soweit umgeschlagen, dass die Angehörigen, die man zur Identifizierung herbeibestellt hat, einen Blick auf das leichenblasse Gesicht werfen können. Wenn sie gegangen sind, wird die Leiche gänzlich aufgedeckt, man könnte auch sagen, bloßgestellt. Zu Beginn der Obduktion sucht man sie nach Hämatomen ab. Maskenbildner:innen haben wieder mal glaubhafte Arbeit geleistet. Andeutungsweise wird über der Brust ein T- oder Y-schnitt durchgeführt, um den Thorax, wenn Brustbein und Rippen entfernt worden sind, öffnen zu können. Nach der Entnahme des einen oder anderen Organs, heißt es für die Schauspielerin mit der kurzen Rolle, ab in die Schublade des Kühlregals!

 

Oft sang- und klanglos

Wie man sieht, der Tod ist sehr wohl medial. Aber doch heutzutage bitte nicht lebensecht! Allenfalls hinter einer Maske, zum vordergründigen Gruseln und Grausen, mitunter vertreten durch einen ausgehöhlten Kürbiskopf, kurzum zum Spott, wie zu Halloween, wer's mag. 

Manchmal, wenn man sich den Pompfünebrer" (Leichenbestatter für ein prunkvolles Begräbnis) sparen möchte, verschwinden die Toten sang- und klanglos unter die Erde. Kremiert im Krematorium sind sie unbesehen verascht (Cinis cinerem, pulvis ad pulvis = Asche zu Asche, Staub zu Staub). Sodann wird des Menschen Rest in einer Urne oder sonst einem biologisch abbaubaren Behältnis unter die Grasnarbe gebracht oder in Friedwäldern im Wurzelraum eines gepachteten Forstbaums posthum(us) dem ewigen Stoffkreislauf zugeführt.

Gleichwie, Gevatter Tod – ei, Sense(n)man/-frau! –, wo bist du heute noch? Hinter dem Paravent der Intensivstation? Dass er oder sie allzeit gegenwärtig und  tätig sind, entnehmen wir regelmäßig den Todesanzeigen in der Zeitung.

 

Der Tod mit der Laterne, darin das gefährdete Lebenslicht. Gestalt in einem gipsdurchtränkten Tuch als Schreckgespenst, im Vorgarten unweit meines Hauses von Nachbarn zu Halloween aufgestellt. Foto: Erwin Isenberg.

*Mysterienspiel „Jedermann“ von Hugo von Hoffmannsthal (1911), nach der Vorlage des engl. Mysterienspiels Everyman, a morality play, (16. Jh.) und der „Comedi vom sterbend reichen Menschen von Hans Sachs sowie Lieder des mittelalterlichen Minnesangs. Der Jedermann-Stoff gelangte in Salzburg auf der Bühne der Benediktiner-Universität bereits 1632 als Versdrama zur Aufführung. Seit 1920 jährlich – bis auf die NS-Zeit – vor dem Salzburger Dom.

Der Jungbrunnen auf der Schweizer 500-Franken-Banknote von 1957, gemeinfrei

Illustration zu Gevatter Tod, einem Hausmärchen der Brüder Grimm, Holzschnitt von Ludwig Richter, gemeinfrei.

Luca Giordano: Die Barke des Charon, Fresko in der Galerie des Palazzo Medici Riccardi, Florenz (1684–1686), gemeinfrei.

Die apokalyptischen Reiter (Gemälde von Wiktor Wasnezow, 1887), gemeinfrei.

Adams Totenschädel zu Füßen des gekreuzigten Christus auf Golgota. Sandsteinfigur, mit Franziskus unter dem Kreuz, in St. Viktor Damme (Niedersachsen, Kr. Vechta). Foto E. Isenberg.

Hans Baldung: Der Tod und die Frau, um 1520/25., Ausschnitt. Mit Genehmigung des Kunstmuseums Basel zur freien Verwendung.

Grabfigur auf dem Dorffriedhof in Kirchhundem-Welschen-Ennest, Aufnahme E. Isenberg